Predigt

Michael Koesling: Predigt zu Jesaja 55,6-12a (3.2.2013)

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Predigtext: Jesaja 55, 6-12a

Liebe Gemeinde, nur noch kurze Zeit, dann kommen sie wieder, und im Fernsehen erle­ben wir sie schon — wohl unvermeidlich: die tollen Tage. Nach dem immer noch andau­ern­den Zuzug vie­ler Bonner ist inzwischen auch halb Berlin — heute Vormittag konnten wir es wie­der sehen – vom rheinischen Frohsinn infiziert. Dass wir uns nicht missverstehen: Wenn Kinder sich verkleiden und Fasching feiern — das ist nied­lich und wun­derschön. Dass Erwachsene mal die Korken knallen lassen und sich auch öf­fent­lich amü­sieren wol­len — nichts dagegen zu sagen, das muss ja nicht auf west- bis süd­­deut­sche Regionen und auch nicht auf Silvester und erst recht nicht auf Weltmeis­ter­schaf­­ten alle Jubeljahre beschränkt bleiben. Aber wenn Redner in die Bütt steigen und nach dem Mot­to: „Augen zu und durch!“ anfangen zu reimen, wenn sie mit holzhammer­haf­ter Be­to­nung die Oh­ren der Zuhörer beleidigen und dann immer noch der gütigen Mit­hil­fe ei­ni­ger Fan­fa­­ren­bläser be­dürfen, auf dass die mit einem kräftigen „Dedääh, dedääh, de­dääh“ die Besu­cher der Ver­an­staltung zu einem mehr oder weniger freiwilligen Geläch­ter er­muntern, ja, dann muss man sich den Abend wohl schöngetrunken haben, um laut­hals los­­zulachen.

Aber seit einer ganzen Reihe von Jahren schon muss man sich ja fast bei den Karne­va­lis­ten entschuldigen, hat doch das Fernsehen die Comedians entdeckt; vielleicht klingt das englische Wort seriö­ser, als wenn jemand verächtlich das Wort „Komiker!“ in die Runde wirft … Unabhängig von Zeit und Raum, auch im Mai und in Bremerhaven wird das ausgestrahlt. Je schlüpf­ri­ger die Zo­ten, je tiefer das Niveau, um so kräftiger das Klatschen und das Gelächter der bei der Auf­zeich­nung Anwesenden. Kunststück: Statt einer ganzen Musikkapelle wie beim Karneval ist hin­ter den Ka­­me­ras ein einzelner Mensch mit Händen und Füßen be­schäf­tigt, das Publikum zum Beifall zu be­wegen.

Aber es sind nicht nur die krampfhaften Rede­beiträge der Karnevalszeit, die oft misslin­gen­­­­­­den Gags eitler Komiker, nein, auch die Worthülsen und Leerformeln der Politiker, wie der große Loriot sie in der Vergangenheit häufig karikiert hat. Ge­­ne­­rell auch der lasche Um­­gang mit unserer Sprache nicht nur in den Medien, sondern auch in unserm Alltag ge­hört dazu. Was wir also im­mer wieder hören und gelegentlich auch lesen müssen: Es sind nichts als leere Worte, viel­leicht müssen wir deutlich sagen: tote Worte! Lösen sie denn blei­bende Freude aus? Füh­­ren sie denn zu gründlichem Nachdenken? Rütteln sie auf? Schaffen sie denn den viel­­­be­schworenen Umbruch?

Nichts von alledem! Menschen leiden oft unter toten – wie erst recht unter tödlichen Wor­ten. Schon früh – in der Erziehung unserer Kinder und Jugendlichen – müssen wir uns hü­ten vor Worten wie „Du bist doch zu nichts nutze!“ oder „Was du schon anfasst, das wird ja doch nichts!“ Noch heute habe ich das Wort eines angehenden Pfarrers vor über vierzig Jah­­ren in unserer Jugendgruppe im Ohr, der sich über einen Redebeitrag erregte und zu der Bemerkung hinreißen ließ: „Mit dieser Einstellung werden Sie nie das Abitur schaf­fen, nie!“ Ich denke, meine Einstellung habe ich seinerzeit nicht geändert, und dennoch das Abi … Aber auch schon unter Jugendlichen selbst fallen tödliche Worte wie „Ich kann dich nicht aus­­ste­­hen!“ bis hin zu „Den könnt ich umbringen!“ Später kommt vielleicht hinzu: „Also für Sie se­­he ich in dieser Branche keine Chance!“ In Familie, Schule und Beruf also erleben wir solche Worte, aber auch in unseren Gemeinden begegnen uns Men­schen, die sich selbst wohl für sensibel halten und doch durch günstigenfalls unbedachte und un­ge­schick­­te, viel­leicht auch schlam­pig benutzte, wenn nicht sogar bewusst töd­li­che Wor­te auf­­­fallen! Nun ist nicht jeder Musikbegeisterte ein Meister der Musik und nicht je­der Lieb­­ha­ber der bil­denden Künste selbst ein hervorragender Maler. Und so sieht sich der heutige Pre­­di­ger zwar als Freund der deutschen Sprache, trotzdem steht auch er natürlich mit­un­ter in Ge­fahr, to­te wie auch tödliche Worte zu gebrauchen.

Wo denn nun bekommen wir aber endlich lebendige Worte, Worte des Lebens her? Die­ser Sonntag ist ein Sonntag des lebendigen Wortes. Wir haben es in den bisherigen Le­sun­gen gehört: Im Psalm wird Gottes Wort als ewiges und so immer lebendiges beschrie­ben und noch dazu als leuchtender Wegweiser. Auch die Epistel bestätigt das, warnt aber gleichzeitig vor der Schärfe des Wortes. Im Evangelium nun erzählt Jesus das Gleichnis vom Sämann, und nach den zuvor gelesenen Versen ist längst klar: Der Samen steht für das Wort Gottes. Bleibt schließlich der Predigttext aus dem 55. Kapitel des Buches Jesa­ja als der wahrscheinlich älteste aller Texte dieses Gottesdienstes. Dass es schon hierbei da­­rum geht, Menschen das Wort Gottes als lebendig und bleibend zu vermitteln, dürfte jetzt nicht mehr überraschen.

Ein namentlich unbekannter Prophet redet in dem Text zu uns. Wir nennen ihn Deutero = zweiten Je­saja, weil seine Worte sich unmittelbar an den Text des bekannten Propheten Je­­sa­­ja anschließen. Deu­te­rojesaja gilt als der große Tröster unter den Propheten. Er wirkt un­­ter den nach Babylon in die Verbannung getriebenen Juden Mitte des 6. vorchristlichen Jahr­­hunderts. Sie wa­ren seine ersten Hörer, die seinen Worten jedoch kaum mehr richtig Glau­ben schenken konn­ten oder wollten. Zu viel Zeit war seit der Verschleppung vergan­gen. Aus den ehe­mals jungen Vertriebenen waren alte geworden, die folgende Genera­tion kannte die Heimat nur noch aus Erzählungen, und so war der Glaube an den in ihrer Geschichte wirkenden Gott allen fremd geworden: Die Alten erzählten zwar ab und zu noch davon, hatten aber schon resigniert und klagten nur noch, dass Gott sie verlassen habe. Und den Jüngeren war längst der babylonische Kult allgegenwärtig, und dessen My­then hatten auch auf ihr Denken und Tun Einfluss genommen. Der Abstand, die Entfer­nung, die Beziehung zu Gott hatte sich, nein, das alles hatten sie immer mehr vergrößert. Und hier schlägt der Prophet Alarm. Er fordert sein Volk auf, er rüttelt es auf mit einer flam­­­men­den Rede:

Sucht den Herrn, solange er zu finden ist; ruft ihn an, solange er nahe ist! Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Böse von seinen Gedanken und kehre um zum Herrn, so

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