Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.
Predigtext: Jesaja 55, 6-12a
Liebe Gemeinde, nur noch kurze Zeit, dann kommen sie wieder, und im Fernsehen erleben wir sie schon — wohl unvermeidlich: die tollen Tage. Nach dem immer noch andauernden Zuzug vieler Bonner ist inzwischen auch halb Berlin — heute Vormittag konnten wir es wieder sehen – vom rheinischen Frohsinn infiziert. Dass wir uns nicht missverstehen: Wenn Kinder sich verkleiden und Fasching feiern — das ist niedlich und wunderschön. Dass Erwachsene mal die Korken knallen lassen und sich auch öffentlich amüsieren wollen — nichts dagegen zu sagen, das muss ja nicht auf west- bis süddeutsche Regionen und auch nicht auf Silvester und erst recht nicht auf Weltmeisterschaften alle Jubeljahre beschränkt bleiben. Aber wenn Redner in die Bütt steigen und nach dem Motto: „Augen zu und durch!“ anfangen zu reimen, wenn sie mit holzhammerhafter Betonung die Ohren der Zuhörer beleidigen und dann immer noch der gütigen Mithilfe einiger Fanfarenbläser bedürfen, auf dass die mit einem kräftigen „Dedääh, dedääh, dedääh“ die Besucher der Veranstaltung zu einem mehr oder weniger freiwilligen Gelächter ermuntern, ja, dann muss man sich den Abend wohl schöngetrunken haben, um lauthals loszulachen.
Aber seit einer ganzen Reihe von Jahren schon muss man sich ja fast bei den Karnevalisten entschuldigen, hat doch das Fernsehen die Comedians entdeckt; vielleicht klingt das englische Wort seriöser, als wenn jemand verächtlich das Wort „Komiker!“ in die Runde wirft … Unabhängig von Zeit und Raum, auch im Mai und in Bremerhaven wird das ausgestrahlt. Je schlüpfriger die Zoten, je tiefer das Niveau, um so kräftiger das Klatschen und das Gelächter der bei der Aufzeichnung Anwesenden. Kunststück: Statt einer ganzen Musikkapelle wie beim Karneval ist hinter den Kameras ein einzelner Mensch mit Händen und Füßen beschäftigt, das Publikum zum Beifall zu bewegen.
Aber es sind nicht nur die krampfhaften Redebeiträge der Karnevalszeit, die oft misslingenden Gags eitler Komiker, nein, auch die Worthülsen und Leerformeln der Politiker, wie der große Loriot sie in der Vergangenheit häufig karikiert hat. Generell auch der lasche Umgang mit unserer Sprache nicht nur in den Medien, sondern auch in unserm Alltag gehört dazu. Was wir also immer wieder hören und gelegentlich auch lesen müssen: Es sind nichts als leere Worte, vielleicht müssen wir deutlich sagen: tote Worte! Lösen sie denn bleibende Freude aus? Führen sie denn zu gründlichem Nachdenken? Rütteln sie auf? Schaffen sie denn den vielbeschworenen Umbruch?
Nichts von alledem! Menschen leiden oft unter toten – wie erst recht unter tödlichen Worten. Schon früh – in der Erziehung unserer Kinder und Jugendlichen – müssen wir uns hüten vor Worten wie „Du bist doch zu nichts nutze!“ oder „Was du schon anfasst, das wird ja doch nichts!“ Noch heute habe ich das Wort eines angehenden Pfarrers vor über vierzig Jahren in unserer Jugendgruppe im Ohr, der sich über einen Redebeitrag erregte und zu der Bemerkung hinreißen ließ: „Mit dieser Einstellung werden Sie nie das Abitur schaffen, nie!“ Ich denke, meine Einstellung habe ich seinerzeit nicht geändert, und dennoch das Abi … Aber auch schon unter Jugendlichen selbst fallen tödliche Worte wie „Ich kann dich nicht ausstehen!“ bis hin zu „Den könnt ich umbringen!“ Später kommt vielleicht hinzu: „Also für Sie sehe ich in dieser Branche keine Chance!“ In Familie, Schule und Beruf also erleben wir solche Worte, aber auch in unseren Gemeinden begegnen uns Menschen, die sich selbst wohl für sensibel halten und doch durch günstigenfalls unbedachte und ungeschickte, vielleicht auch schlampig benutzte, wenn nicht sogar bewusst tödliche Worte auffallen! Nun ist nicht jeder Musikbegeisterte ein Meister der Musik und nicht jeder Liebhaber der bildenden Künste selbst ein hervorragender Maler. Und so sieht sich der heutige Prediger zwar als Freund der deutschen Sprache, trotzdem steht auch er natürlich mitunter in Gefahr, tote wie auch tödliche Worte zu gebrauchen.
Wo denn nun bekommen wir aber endlich lebendige Worte, Worte des Lebens her? Dieser Sonntag ist ein Sonntag des lebendigen Wortes. Wir haben es in den bisherigen Lesungen gehört: Im Psalm wird Gottes Wort als ewiges und so immer lebendiges beschrieben und noch dazu als leuchtender Wegweiser. Auch die Epistel bestätigt das, warnt aber gleichzeitig vor der Schärfe des Wortes. Im Evangelium nun erzählt Jesus das Gleichnis vom Sämann, und nach den zuvor gelesenen Versen ist längst klar: Der Samen steht für das Wort Gottes. Bleibt schließlich der Predigttext aus dem 55. Kapitel des Buches Jesaja als der wahrscheinlich älteste aller Texte dieses Gottesdienstes. Dass es schon hierbei darum geht, Menschen das Wort Gottes als lebendig und bleibend zu vermitteln, dürfte jetzt nicht mehr überraschen.
Ein namentlich unbekannter Prophet redet in dem Text zu uns. Wir nennen ihn Deutero = zweiten Jesaja, weil seine Worte sich unmittelbar an den Text des bekannten Propheten Jesaja anschließen. Deuterojesaja gilt als der große Tröster unter den Propheten. Er wirkt unter den nach Babylon in die Verbannung getriebenen Juden Mitte des 6. vorchristlichen Jahrhunderts. Sie waren seine ersten Hörer, die seinen Worten jedoch kaum mehr richtig Glauben schenken konnten oder wollten. Zu viel Zeit war seit der Verschleppung vergangen. Aus den ehemals jungen Vertriebenen waren alte geworden, die folgende Generation kannte die Heimat nur noch aus Erzählungen, und so war der Glaube an den in ihrer Geschichte wirkenden Gott allen fremd geworden: Die Alten erzählten zwar ab und zu noch davon, hatten aber schon resigniert und klagten nur noch, dass Gott sie verlassen habe. Und den Jüngeren war längst der babylonische Kult allgegenwärtig, und dessen Mythen hatten auch auf ihr Denken und Tun Einfluss genommen. Der Abstand, die Entfernung, die Beziehung zu Gott hatte sich, nein, das alles hatten sie immer mehr vergrößert. Und hier schlägt der Prophet Alarm. Er fordert sein Volk auf, er rüttelt es auf mit einer flammenden Rede:
Sucht den Herrn, solange er zu finden ist; ruft ihn an, solange er nahe ist! Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Böse von seinen Gedanken und kehre um zum Herrn, so wird der sich seiner erbarmen, er kehre um zu unserm Gott, denn der ist reich an Vergebung.
Er sagt: Wenn ihr wollt, dass sich an eurem bejammernswerten Zustand etwas ändert — und ihr wollt das doch! – , dann müsst ihr Gott suchen, müsst wieder Kontakt mit ihm aufnehmen, zu ihm beten. Wer schon in Gedanken oder sogar im Leben des Alltags seinen Weg ohne Gott versucht hat: Wie weit ist er denn gekommen? Haben die Klagen geholfen? Oder etwa die babylonischen Götter? Umkehr ist angesagt, Abkehr vom Götterkult Babylons, nur dann erscheint auch eine Rückkehr in die Heimat möglich. Mit Gottes Hilfe. Nur mit Gottes Hilfe. Erinnert ihr euch denn nicht? Dann erinnert euch doch gegenseitig daran! Bevor es zu spät ist …
Eigentlich müsste es uns leicht fallen, sich in die Lage der Israeliten zu versetzen – brauchen wir doch fürs Exil in Babylon nur die Mauer in Deutschland einzusetzen und für den babylonischen Götterkult den DDR-Sozialismus mit seinen Versprechungen!
Doch wenden wir uns wieder dem Propheten zu, der spricht nämlich weiter: Ich jedenfalls habe noch Kontakt zu Gott, und ich kann, nein, ich soll und ich werde euch weitergeben, was er euch mitzuteilen hat:
Der Herr spricht: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, sondern wie der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. Denn wie der Regen und der Schnee vom Himmel fallen und nicht dorthin zurückkehren, sondern die Erde tränken und sie fruchtbar machen und wachsen lassen, dass sie dem Sämann Samen gibt und dem Hungrigen Brot zu essen, so soll auch das Wort sein, das aus meinem Munde kommt: Es wird nicht leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und wird ausrichten, wozu ich es sende. 12Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und in Frieden geleitet werden.“
Im Rückblick auf die Vergangenheit und hinsichtlich der Gegenwart können wir bei allem Respekt vor menschlichem Erfindungsgeist und aller Achtung auch vor menschlichen Leistungen nur sagen: „Bloß gut, dass Gottes Gedanken und Wege nicht unsere sind! Das Chaos, das wir oft genug anrichten, ist so schon groß genug!“ Gott denkt und handelt eben doch in anderen Dimensionen, als sie uns je vorstellbar sind und sein werden. Und wir spüren auch an seinen Beispielen: Hier denkt, redet und handelt Gott – als Schöpfer. Und es musste den Menschen vor 2 550 Jahren ebenso klar sein, wie es uns heute einleuchtet: Das Wort Gottes – wie Regen und Schnee: Es kommt vom Schöpfer, es bewirkt etwas, hier auf der Erde, bei uns. Wir brauchen es. Wir — die Erde – , wir saugen es quasi auf. Daraus entsteht etwas und wächst. Und pflanzt sich fort. Durch den Sämann. Und wir wissen ja inzwischen aus dem Evangelium: Der Sämann ist niemand anders als Jesus Christus.
Denken wir an Vers 14 im 1. Kapitel des Johannesevangeliums, in dem es heißt:
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit,
denken wir also daran, dann erfüllt sich in Jesus neben vielen Prophezeiungen auch die aus unserem Predigttext: Das Wort wird nicht leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und wird ausrichten, wozu ich es sende. Gottes Wort ist ein lebendiges Wort, ein Wort des Lebens, ist — Leben!
Deuterojesaja hat weitergegeben, was Gott ihm mitgeteilt hat. Und Gott hat sein Versprechen gehalten: Ihr sollt in Freuden ausziehen und in Frieden geleitet werden! Das hat Deuterojesaja selbst allerdings nicht mehr miterlebt. Doch dies ist anderen Vertrauten Gottes in ihrem Leben ebenso ergangen.
Möge Gottes Wort die toten und tödlichen Worte unseres Alltags immer wieder überstrahlen! Und mögen wir darauf achten! Und unser Leben danach ausrichten!
Amen.
Michael Koesling
Diakon