Predigt vom Sonntag Lätare (Online-Gottesdienst) am 22. März 2020

Predigt von Pfr. Christopher Piotrowski zu Jesaja 66,10-14:

Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an ihrer vollen Mutterbrust. Denn so spricht der HERR: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen. Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden. Ihr werdet’s sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des HERRN an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden.

Jesaja 66,10-14

Liebe Schwestern und Brüder,

wir befinden uns zwar gerade noch in der Passionszeit, aber heute haben wir den Freudensonntag, den Sonntag Lätare. Das kleine Ostern. Ein Tag, an dem wir uns in der schweren Zeit daran erinnern können, dass wir nicht hinter Ostern zurück können. Nie mehr. Ostern ist geschehen. Die Welt hat Gottes Heil gesehen. Christus ist auferstanden und nichts kann uns das nehmen. Nicht einmal das Corona-Virus.

Es gibt zwei Dinge, die mir diese Zeit besonders schwer machen: Zum einen scheint die Angst vor dem Virus noch ansteckender zu sein als das Virus selbst. Wenn ich vor die Haustür gehe, werde ich ganz automatisch unruhig. Ich merke, wie alle Menschen da draußen sich verstohlen aus den Augenwinkeln ansehen – und auch mich ansehen: Was hat der vor? Warum ist der unterwegs und nicht zu Hause? Ist er vielleicht infiziert? Und ich selbst blicke verstohlen zurück und denke das gleiche. Das Einkaufen ist ein Spießrutenlauf. Kann ich den Einkaufswagen anfassen? Die Tasten an der Gemüsewaage bedienen? Soll ich wirklich in diesen engen Nebengang gehen, in dem schon drei Menschen sich die halbleeren Regale ansehen und ein Mindestabstand nicht einzuhalten wäre? Das Virus hat mein Denken infiziert. Und das ist kein schönes Gefühl.

Das zweite, was ich noch schwerer finde, ist die fehlende Nähe zu anderen Menschen. Ich kann niemandem die Hand geben. Ich kann keine Freunde besuchen oder zu mir einladen. Nicht einmal meine Mutter kann ich umarmen, weil sie zu einer Risikogruppe zählt. Während sonst Nöte und Katastrophen dazu führen, dass die Menschen näher zusammenrücken, verbietet die Naturkatastrophe, die gerade über uns hereinbricht, genau das. Wir können nicht zusammenrücken – zumindest nicht räumlich, physisch –, aber wir sollen trotzdem zusammenstehen. Wie soll das gehen?

Die Isolation und die Angst und ja, auch die Langeweile, können einem am Gemüt nagen. Vielleicht fehlt nichts unmittelbar Lebensnotwendiges. Man hat genug zu essen und zu trinken, ein Dach über dem Kopf und ist hoffentlich noch halbwegs gesund. Und trotzdem wird das Leben beschwerlicher von Tag zu Tag. Man trocknet auf dieser Wüstenwanderung geradezu geistig aus.

Aber wenn es etwas gibt, wofür der heutige Sonntag Lätare gut ist, dann dazu, um uns zu sagen: Das geht irgendwann vorbei! Das hört auf! 40 Jahre war Israel nach Babylon deportiert gewesen, fernab von seiner Heimat Jerusalem. In einer Zeit ohne Internet und ohne Telefon. Wer soll das aushalten? Israel hat es ausgehalten. Und die Zeit hatte ein Ende. So groß war die Freude, wie Jesaja es schreibt: Wie ein Kind, das nach viel zu langer Zeit, hungrig und verzweifelt wieder an die Brust seiner Mutter kommt. So groß war der Trost, wie der Trost einer Mutter.

In großer Not werden alle Menschen so sehnsüchtig nach Heilung wie die Säuglinge, die sich nach der Brust ihrer Mutter sehnen. In der Freude, die durch die Erlösung von dieser Not kommt, da erleben wir Gott als eben die Mutter. Wir erleben ihn ja in all dem, was uns gerade fehlt. Wir erleben ihn in der gewissen Zukunft. Wir erleben ihn in der Nähe zu unseren Nächsten. Wir erleben ihn in unserem Tun der Liebe. Wir erleben ihn, wenn uns Liebe erwiesen wird.

In dieser Zeit ist all dieses Erleben von Gottes Kraft und Geist im Alltag, so wie wir es sonst erfahren, nur eingeschränkt möglich. Aber jetzt erleben wir die Tiefe von Gottes Kraft. Obwohl wir gerade viele Einschränkungen hinnehmen müssen, obwohl überall auf der Welt viele Menschen sich gerade infizieren und sterben, obwohl Menschen verzweifeln und um ihre Lebensgrundlagen bangen: Gottes Kraft und Geist reichen bis an den Boden und die dunkelsten Ecken unserer Existenz. Und auch noch darunter ist Gott. Im Tod ist er auch und hält uns und trägt uns. Solange wir keine Macht finden, die stärker ist als der Tod – und das werden wir nicht –, werden wir auch keine Macht finden, die stärker ist als Gott. Gott ist Herr über den Tod, denn der Herr ist auferstanden. Noch drei Wochen, bis wir das nach dem Kalender des Kirchenjahres feiern.

Wir voraussichtlich dazu nicht in der Kirche zusammenkommen können. Aber das sage ich euch: Der erste Gottesdienst, den wir wieder zusammen feiern werden, wird ein Festgottesdienst werden –wie Weihnachten und Ostern zusammen. Oder wie Jesaja schreibt: Dann wird man erkennen die Hand des Herrn! Dann werden wir Ihn wieder erleben. Aber nicht wie früher, wie selbstverständlich, sondern mit neuer Dankbarkeit und Freude und in Gemeinschaft miteinander und mit Ihm.

Amen.