Predigt von Pfarrer Christopher Piotrowski am 1. Januar 2019 in der Laurentiuskirche zum Predigttext Josua 1,1-9:
Nachdem Mose, der Knecht des HERRN, gestorben war, sprach der HERR zu Josua, dem Sohn Nuns, Moses Diener: Mein Knecht Mose ist gestorben; so mach dich nun auf und zieh über den Jordan, du und dies ganze Volk, in das Land, das ich ihnen, den Israeliten, gebe. Jede Stätte, auf die eure Fußsohlen treten werden, habe ich euch gegeben, wie ich Mose zugesagt habe. Von der Wüste bis zum Libanon und von dem großen Strom Euphrat bis an das große Meer gegen Sonnenuntergang, das ganze Land der Hetiter, soll euer Gebiet sein. Es soll dir niemand widerstehen dein Leben lang. Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Sei getrost und unverzagt; denn du sollst diesem Volk das Land austeilen, das ich ihnen zum Erbe geben will, wie ich ihren Vätern geschworen habe. Sei nur getrost und ganz unverzagt, dass du hältst und tust in allen Dingen nach dem Gesetz, das dir Mose, mein Knecht, geboten hat. Weiche nicht davon, weder zur Rechten noch zur Linken, auf dass du es recht ausrichten kannst, wohin du auch gehst. Und lass das Buch dieses Gesetzes nicht von deinem Munde kommen, sondern betrachte es Tag und Nacht, dass du hältst und tust in allen Dingen nach dem, was darin geschrieben steht. Dann wird es dir auf deinen Wegen gelingen, und du wirst es recht ausrichten. Habe ich dir nicht geboten: Sei getrost und unverzagt? Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.
Josua 1,1-9
Liebe Brüder, liebe Schwestern!
Neu! Das ist ein Wort, auf das viele Menschen unterschiedlich reagieren.
Die einen fasziniert das Neue. In das Neue legen sie ihre Hoffnungen und Träume hinein. Das Neue, sagen sie, sei besser als das Alte. Mit Neuem hört ein – vielleicht nur gefühlter – Stillstand auf und etwas anderes findet möglicherweise einen Abschluss. Das Neue ist innovativ – was letztlich nur ein lateinisches Modewort für „neuartig“ ist. Das Neue werden wir meistern, versichern sie mit großem Optimismus.
Andere begegnen dem Neuen grundsätzlich skeptisch. Sie sehen Altes in Gefahr, das vielleicht immer gut funktioniert hat. Wenn das Neue nicht unmittelbar erkennbare Vorteile bringt, was soll man dann damit? Neues muss sich erst bewähren, damit man das Neubewährte so schätzen kann wie das Altbewährte. Das Neue ist unbekannt. Es birgt Risiken und bringt Abläufe in Gefahr.
Die alttestamentliche Lesung erzählte von einem Übergang von etwas Altem zu etwas Neuem. Eine alte Zeit findet ihren Abschluss: Die 40 Jahre währende Wüstenwanderung des Volkes Israel. Mose ist gestorben. Ein neuer Anführer, Josua, übernimmt vor Gott die Verantwortung für Israel. Ein neues Land wird erobert, der Jordan wird überquert. Ein Umbruch nach langer Zeit in der Wüste, die das Volk auf das Neue vorbereiten sollte. Josua und ganz Israel sollen getrost und unverzagt sein. Dreimal gebietet Gott: Sei getrost und unverzagt!
Woher kommt es, dass Menschen so unterschiedlich auf Veränderungen reagieren? Psychologisch gesehen geht es bei der Frage nach neu und alt immer letztlich um die Frage nach Kontrolle und manchmal auch um Macht. Wie behalte ich den Überblick und verhindere, dass mir die Fäden aus den Händen gleiten. Oder aber auch: Wie kann ich Kontrolle gewinnen, die gerade nicht bei mir liegt?
Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet zu Neujahr gute Vorsätze gefasst werden. Der gute Vorsatz ist der Versuch, Kontrolle über einen Bereich des Lebens zurückzugewinnen, von dem man glaubt, dass sie einem entglitten ist. Aufhören zu rauchen, weniger Alkohol trinken, endlich abnehmen, gesünder ernähren, Sport treiben – wer sich etwas vornimmt, sollte sich prüfen: Worüber will ich die Kontrolle gewinnen. Und was ist überhaupt der Grund dafür, dass ich sie verloren habe?
Auch die Geschichte des Volkes Israel ist eine Geschichte von Kontrolle und Macht. Gerade in der Unterhaltung von Gott und Josua kann man das wunderbar sehen. Die Situation ist nicht nur für Josua und Israel eine neue, sondern auch für Gott! In den vergangenen 40 Jahren hat Israel auf der Wüstenwanderung oft versucht, sich Gottes Willen zu widersetzen. Gott hatte etwas vor mit seinem Volk, hat sie aus Ägypten herausgeholt – das Volk wollte zurück. Gott gab dem auserwählten Volk sein Gebot – das Volk tanzte um ein goldenes Kalb. Gott zeigte Israel das verheißene Land – das Volk murrte.
Nun beginnt die neue Zeit, die Zeit der erfüllten Verheißung. Zuvor spricht noch einmal Gott. Er weiß darum, wie das Neue auf die Menschen – auch auf Israel wirken kann. Gott weiß um die Unsicherheit und die Angst, die mit einem Umbruch kommen kann. Und Gott weiß um die Begeisterung und den Übermut, die ein Umbruch auslösen kann.
Zwei Dinge tut Gott. Erstens: Er wiederholt seine Verheißung und bekräftigt sie. Sie gilt auch unter den veränderten Umständen – auch nachdem Mose gestorben und Josua neuer Anführer geworden ist. Israel kann getrost und unverzagt sein. Wer Sorge vor dem Neuen hatte, dessen Vertrauen auf Gott kann sie ihm nehmen. Zweitens: Er schärft Josua und Israel ein, sich an das Gesetz zu halten, das Gott seinem Volk durch Mose gegeben hat. Hiermit wird dem Überschwang gewehrt, der dazu führen könnte, die Erfüllung der Verheißung als das Ende der Beziehung von Gott und Israel zu sehen. Im Gegenteil: Gott gibt zu verstehen, dass die Beziehung auf beiden Seiten unverbrüchlich weitergeht.
Zum neuen Jahr gehören die Vorsätze wie der Sonnenaufgang zum Morgen. Kontrolle erlangen oder wiedergewinnen über das eigene Leben – oder zumindest über Bereiche davon. Selten habe ich erlebt, dass Vorsätze wirklich lange gehalten haben. Oft war es schon nach wenigen Wochen nicht mehr ganz so ernst damit und bald darauf vorbei. Es braucht schon einen sehr starken Willen und eine echte Einsicht, damit das klappt.
Bei Israel ist klar: Gott hat sich das Volk erwählt und leitet es. Sobald dort infrage steht, wer das Sagen und die Kontrolle hat, sobald infrage steht, woran man sich halten soll, stimmt was nicht mehr im Bund Gottes. In den Erzählungen des Alten Testaments fordert Gott in dem Fall mit aller Macht seinen Einfluss auf die Menschen in seinem Volk zurück. Aus heutiger Sicht mag das diktatorisch und eher negativ klingen, aber Israel wusste, was es an seinem Gott hatte und weiß es heute noch. Es war froh, ihn an seiner Seite zu haben. Das ganze Leben und die ganze Gesellschaft Israels waren und sind von Gottes Gebot und Verheißung durchdrungen.
Ich glaube, ich lehne mich nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass das bei uns in Deutschland heutzutage eher nicht so ist. Es gilt als gut, selbst die Kontrolle zu haben, seinem eigenen Weg und Willen zu folgen. Daher ja auch die Vorsätze zum neuen Jahr. Dabei können die Vorsätze, die man sich zum neuen Jahr macht, durchaus bis zu einem gewissen Grad widerspiegeln, welcher Kontrolle und welchen Mächten man im Leben ausgeliefert ist und unterliegt. Herauszufinden, welche Mächte einen beeinflussen, das scheint mir der beste Sinn von guten Vorsätzen zu sein.
An der Stelle möchte ich aber mal als Pfarrer einen Vorschlag zum neuen Jahr machen. Anstatt zu überlegen, wie man über Vorsätze selbst Kontrolle über die entglittenen Bereiche des Lebens bekommen kann, etwas anderes fragen: Wie kann ich Gott die Bereiche meines Lebens anbefehlen, von denen ich merke, dass ich dort ohnehin fremdbestimmt werde? Gott, der mich in jeder neuen Situation tragen will, der mich liebt und dessen Verheißungen ich habe?
Wenn ich mehr auf meine Gesundheit achten will: Warum nicht anfangen im Bewusstsein zu leben, dass mein Körper Tempel für den Heiligen Geist ist, wie Paulus schreibt? Wenn ich mich mit anderen Menschen besser vertragen will: Warum mir nicht vornehmen, mich in die unbedingte Nächstenliebe Jesu Christi einzuüben? Wenn ich mehr auf die Umwelt achten möchte: Warum mir nicht klarmachen, dass ich als Christin oder Christ Verantwortung für die Schöpfung und auch für die Menschen fern von mir wahrnehme?
Es gibt viele Möglichkeiten, seine guten Vorsätze Gott anzuvertrauen. Das alles aber beginnt mit dem Gebet. Beten heißt, die Kontrolle über sein Leben Gott zu überlassen und ihn zu bitten, die fremden Mächte, die das Leben bestimmen wollen, auszusperren. Für manch einen mag das etwas Neues sein. Dieses Neuland zu betreten, ist faszinierend. Wer sich noch nicht traut, dem sei gesagt: Sei getrost und unverzagt! Und wer der Meinung ist, er habe ohnehin schon Gott in die Mitte seines Lebens eingelassen, der kann ja mal darüber nachdenken, welche Vorsätze er sich für dieses Jahr gemacht hat oder machen würde – und warum.
Amen.