Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.
Amen.
Predigtext: Römer 11, 32–36
Liebe Gemeinde, bekanntlich soll man ja die Feste feiern, wie sie fallen, und die erste Hälfte unseres Kirchenjahres ist geradezu gespickt mit Festzeiten und speziellen Gedenk- und Feiertagen: Das fängt gleich mit der Adventszeit und Weihnachten an und geht nach Epiphanias in die Passionszeit über hin zu Ostern. Unlängst haben wir dann Christi Himmelfahrt und letzte Woche Pfingsten gefeiert. Heute also: Trinitatis.
Bei den vorgenannten Festen war die Art des Feierns, waren die Objekte vorgegeben: In den ersten Monaten ging es um Jesus Christus — von der Vorbereitung auf seine Geburt über sein Leben und Wirken, sein Leiden und seinen Tod bis zur Auferstehung und zur Himmelfahrt. Das Pfingstfest schließlich erinnerte daran, wie der Heilige Geist über Menschen unterschiedlicher Nationalitäten gekommen war und so die christliche Kirche entstand. All diese Tage sind durch Bibeltexte belegt und haben so einen echten Sitz im Leben der Gemeinde. Was aber feiern wir eigentlich zu Trinitatis?
Fast gilt dieser Tag als anonymer Sonntag. Ein Sonntag ohne Hintergrund in der biblischen Lehre. Er hat keine rechte Bedeutung in den Gemeinden. Denen wird der Name „Trinitatis“ mehr dadurch bewusst, dass fünf Monate lang in der zweiten Hälfte unseres Kirchenjahres die Sonntage — etwas phantasielos — danach aufgezählt werden. Trinitatis — das ist eher etwas für Dogmatiker und Liturgiker.
Für Dogmatiker, denn erst im 4. Jahrhundert wurde in den Konzilien — in den Versammlungen kirchlicher Würdenträger — die Lehre von der Trinität entfaltet, die diesem Festtag dann im Mittelalter ihren Namen geben sollte. Und erst im 14. Jahrhundert fand dieser Sonntag schließlich seinen Platz eine Woche nach Pfingsten. Gott war als Mensch Jesus Christus auf Erden erschienen und hat seither im Heiligen Geist nachhaltig Denken, Fühlen und Glauben der Christen beeinflusst. Dass sich Gott auf so viel-, sprich: dreifältige Weise den Menschen zeigt, dass sich diese unterschiedlichen drei Erscheinungsformen in dem einen Gott zeigen können, das gilt es zu feiern, an einem ganz bestimmten Sonntag. Liturgiker ergänzen: „Zusätzlich!“ Denn das Lob des dreieinen Gottes ertönt ja mehrfach in jedem unserer Gottesdienste: In der Eingangsbegrüßung und im Segen und zwischendurch im Gloria Patri — dem „Ehr sei dem Vater…“ – und im Eingangsgebet.
Der Trinitatis-Gottesdienst ist ein ganz spezieller Lobpreis-Gottesdienst. Um eine besondere Feierlichkeit zu unterstreichen, ist es auch im Bereich der Politik und des Sports üblich — wir erleben das ja immer wieder –, Hymnen anzustimmen. Wenn wir nun schon in der Bibel aus genannten Gründen keinen eigenen Trinitatis-Text finden, so ist es doch schön, dass zur Feier dieses Tages ein Hymnus, ein christlicher Lobgesang als Predigttext vorgeschlagen ist.
Zur Einstimmung auf diesen Abschnitt wird der Schlusssatz des vorhergehenden Textes hinzugenommen. In diesem Satz versucht Paulus, seine unterschiedliche Zuhörerschaft zu integrieren. Er lehnt die ausgestreckten Zeigefinger der Juden auf die ehemaligen Heiden, jetzt Christen ebenso ab wie in der umgekehrten Richtung. Er sagt: Ihr — jetzt Christen — wart als ehemalige Heiden noch dem Ungehorsam verfallen, als sie — die Juden — schon das von Gott geliebte und erwählte Volk waren. Jetzt habt ihr den besseren Teil gefunden, während sie noch im Stadium des Ungehorsams leben. Mathematisch ausgedrückt könnte das heißen: Das Minus-Vorzeichen des Ungehorsams tragt ihr beide, das kann durch kein Plus-Zeichen aufgehoben werden. Gott hat euch alle in den Ungehorsam eingeschlossen. Aufgehoben wird das nur — und dann aber auch wieder für alle –, weil sich Gott aller erbarmt.
Jetzt endlich hören wir die Lyrik dieses Hymnus: O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege! Was den Hörer im ersten Moment einlädt, einzufallen in den Jubelchor, diese Ausrufe aus voller Kehle mit herauszuschreien, lässt uns bei intensiverer Beschäftigung wieder verstummen, lässt uns klein-laut werden. Was an Worten so gewaltig, so mächtig die Größe Gottes betont, lässt aber auch so etwas wie Unerreichbarkeit aufkommen. Diese Einsicht ist gut, wenn wir tagtäglich erleben, wie wir Menschen doch versuchen, immer gottähnlicher zu werden. Vokabeln wie „Tiefe“, „unergründlich“ und „unerforschlich“ verbinde ich in ihrer Zusammenfassung immer mit dem Meer. Auch Menschen, die sich mit größerer Leidenschaft in die Wellen stürzen, als ich das je getan habe und je tun werde, die werden nachdenklich, ja, vielleicht sogar ängstlicher, je mehr sie sich von sicheren Ufern entfernen, je weniger andere Menschen sich dann um sie herum aufhalten. Die Tiefe des Meeres — die größte, uns bekannte Tiefe beträgt über 11 Kilometer, und schon eine Durchschnittstiefe des Meeres ist mit immerhin knapp 3, 8 Kilometer ausgerechnet worden. Kein Problem, sich das als Entfernung auf der Autobahn vorzustellen! Aber als Tiefe im Meer? Und so sind für uns Gottes Reichtum, seine Weisheit und seine Erkenntnis un-ermess-lich, seine Entscheidungen un-er-gründlich, seine Wege unerforschlich!
Paulus möchte sich mit seinem Brief persönlich bei den Römern bekannt machen. Er will dabei auch gar nicht erst den Eindruck aufkommen lassen, als ob die neue Religion eher etwas für ungebildete Hinterwäldler sei und nicht für die Weltbürger Roms. Und so fährt er in den nächsten beiden Versen fort, indem er mit Zitaten aus den Büchern der Propheten Israels das bisher Gesagte untermauert. Wer hat denn die Gedanken Gottes erkannt? Wer ist denn sein Ratgeber gewesen? Hat ihm womöglich jemand etwas gegeben, so dass es ihm Gott zurückgeben müsste? Diese Fragen erscheinen uns rhetorisch: Die Antwort steht doch fest! Und doch denke ich, Paulus will, dass wir sie laut und deutlich aus uns herausschreien, damit wir weiterhin, damit wir erneut dieser Versuchung widerstehen, selbst so sein zu wollen wie Gott. Niemand — so muss die Antwort lauten — niemand. Niemand ist das, niemand hat das, niemand kann Gott — das Wasser reichen…
Zu guter Letzt in unserem Text gibt Paulus dem Bildungsbürgertum Roms noch eine Kostprobe dessen, was er einst selbst an griechischer Bildung genossen hat. Über Gott schreibt er: Aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ähnlich hat man schon lange vorher in der Philosophenschule der Stoa geredet. Die Natur selbst ist so angesprochen worden. Paulus geht darüber hinaus: Die Natur, die ganze Schöpfung ist erst vom Schöpfer, von Gott her denkbar, vorstellbar, erschaffen.
Eben sagte ich noch, die Einsicht der Unerreichbarkeit Gottes sei gut. Aber ist das nicht nur die eine Seite der Medaille? Und wer hat schon diese Einsicht? Wir brauchen doch Gott, hier bei uns, in dichter Nähe. Indes müssen wir einsehen, dass wir seinem Reichtum weder durch die Leistungen unserer Worte noch unserer Werke nahe kommen. Gerade jetzt sehen wir das im politischen Alltag. Aber auch im Alltag der Kirchen. Und auch das, was in einzelnen Gemeinden entschieden wird, kann nicht immer als der göttlichen Weisheit letzter Schluss angesehen werden. Wir müssen erkennen, dass wir seine Weisheit und seine Erkenntnis auch nicht durch unsere genialsten Gedanken erreichen. Und dabei sind unsere Gedanken selten die genialsten! Gott in unserer Nähe, wir bei ihm — möglich wird das nur durch unseren Glauben und durch unsere Gebete. Möglich wird das, wenn wir eingedenk der Liebe Gottes wie auch unserer Nächstenliebe handeln, so, wie wir es von Jesus Christus gelernt haben könnten. Möglich wird das, wenn wir vom Heiligen Geist so erfüllt sind, dass wir nicht nur unserem Nächsten vertrauen, der uns nach dem Munde redet, sondern auch dem Übernächsten, der uns Dinge sagt wie keiner vorher. Möglich wird das, wenn wir wie Paulus laut loben: Ihm — Gott — sei Ehre in Ewigkeit!
Amen.
Diakon Michael Koesling