Predigt zum Sonntag Kantate

Aus Psalm 96:

Singet dem Herrn ein neues Lied, singet dem Herrn alle Welt!

Erzählt unter den Heiden von seiner Herrlichkeit! Der Himmel freue sich und die Erde sei fröhlich. Denn er kommt zu richten das Erdreich. Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit seiner Wahrheit.

Singen Sie eigentlich gern? Man tut es ja selten heutzutage, nicht? Im Gottesdienst schon. Aber früher hat man viel mehr gesungen – oder irre ich mich? Ich erinnere mich so gern an die Lagerfeuer mit der jungen Gemeinde – die Mundorgel in der Hand, ein/zwei Gitarren dabei … Wir haben alles mit Wonne geschmettert von „Jesus Christus herrscht als König“ bis hin zu „Bolle reiste jüngst zu Pfingsten“. Es war ein Gemeinschaftserlebnis. Wir haben Nähe und Geborgenheit gespürt. Mit den Älteren in der Gemeinde haben wir auch viel gesungen – ja, ohne Gesangbuch und ohne Liederheft. Heute schafft meine Gemeinde nicht einmal die Adventslieder ohne Text. In der Schule haben meine Kinder kaum gesungen. Ja, Musiklehrer fehlten. Als Familie haben wir eigentlich nur unterwegs in den Urlaub im Auto kräftig und ungeniert gesungen. Ich weiß, wo heute noch fröhlich gesungen wird – wenn die Fußballfans nach dem Sieg ihrer Mannschaft nach Hause strömen: „So ein Tag, so wunderschön wie heute.“ Das ist purer Ausdruck der gemeinsamen Freude und Verbundenheit.

Wenn der heutige Sonntag Kantate, Singt!, uns aufruft, mit unseren Lieder den Herrn zu loben, ist das nicht mehr eine Selbstverständlichkeit unseres alltäglichen Lebens. Doch für uns Christen bleibt das Singen das unaufgebbare Herzstück unseres Gottesdienstes. Hier in der Kirche nehmen wir Woche für Woche am Lob Gottes teil, an der Freude und Verbundenheit der Familie Gottes. Ich sage ganz bewusst: das Herzstück unseres Gottesdienst. Vieles können wir allein. Wir können allein beten. Wir können allein die Bibel lesen. Wir können im Fernsehen Predigten hören oder in Büchern lesen. Aber zum Singen brauchen wir einander, wir beschenken uns gegenseitig, wir bringen einander mit vor dem Angesicht Gottes. Es ist unser aller ureigenster Beitrag zum Gottes-Dienst. Es schließt uns in die Gemeinschaft mit Gott und miteinander ein.

Einmal ging ich am Ostersonntag in eine Kirche, die eigentlich gut besucht war. Es stellte sich aber heraus, dass es drei Taufgesellschaften waren und sonst nur ein Handvoll Gemeindeglieder. Das erste Lied begann. Der Pfarrer sang, mein Mann sang, ich tat mein Bestes – ich bin total unmusikalisch. Sonst sang keiner. Die Taufleute machten nicht einmal ihre Gesangbücher auf. Das verstehe ich. Sie waren ja fremd. Aber keiner von den wenigen Gemeindegliedern, einzeln auf den großen Raum verteilt, traute sich, einen Ton von sich zu geben. Trotz der frohen Osterbotschaft in Wort und Predigt ging ich bedrückt nach Hause. Das Verbindende hat gefehlt. Auch die Taufgesellschaften hatten nichts von der Gemeinschaft des Volkes Gottes erlebt.

Sehen Sie, in dem Singen sind wir – jedes Mitglied der Gemeinde – gefragt. Es ist den anderen nicht egal, ob Sie sonntags in die Kirche kommen oder nicht. Jede Stimme, die in dem Lob Gottes fehlt, fehlt schmerzlich. Wir beschenken einander. Wir schließen einander in die Gemeinschaft vor Gott ein. Wir treten gemeinsam vor den Thron Gottes.

Wie ich sagte, ich bin keine Sängerin. Ich treffe nur manchmal den richtigen Ton. Geht es dem einen oder anderen von Ihnen auch so? Ich wage es Ihnen zu sagen: Das ist unwichtig, das macht nichts. Es sind ganz andere Misstöne im Gemeindeleben, auf die unser himmlischer Vater achtet. Er hat unsere Begabungen ausgeteilt. Wer wunderbar singen kann, hat es von Gott. Wer es nicht kann, hat sicher andere Gaben. Aber loben dürfen wir ihn alle.

„Singet dem Herrn ein neues Lied!“ Warum wohl ein neues Lied? Davon spricht auch unser Wochenspruch. Was hat Gott gegen unsere alt-vertrauten Lieder, die uns begleitet haben von Kindheit an? Singen nicht besonders die Älteren die am allerliebsten? Sicher, es gibt neue Lieder in unserem Gesangbuch, die wir genau so gerne singen – aber erst, wenn sie uns genau so vertraut geworden sind wie die alten? Aber das meint der Psalmist nicht. Er meint es so: Mit unseren Liedern preisen wir nicht nur die herrlichen Taten Gottes in der Geschichte; wir preisen auch die herrlichen Taten Gottes, die er an uns heute tut. Und das ist wichtig. Wir loben ihn nicht nur für das Wunderwerk der Schöpfung, sondern auch für die zarten Knospen, die jetzt in Frühling aufblühen. Wir loben ihn nicht nur für das Heilswerk am Kreuz Christi, sondern auch für das Heil, das wir jeden Tag in unserem eigenen Leben neu erfahren dürfen. Wir loben ihn nicht nur für seinen Sieg über den Tod, sondern auch für die täglichen kleinen Siege über zerstörende Mächte, die wir heute erleben. Davon sollen wir singen.

Singt dem Herrn ein neues Lied, singt dem Herrn alle Welt! Mit unserem Singen sind wir mit eingebunden in die Familie Gottes aus allen Kulturen in der ganzen Welt. Es wird nicht gegeneinander gesungen. Wir singen auch nicht jeder sein eigenes Lied, als ob unser Lied das einzig wahre Lob Gottes wäre. Im Chor der ganzen Welt wird auch nicht einstimmig gesungen, denn das Lied des Volkes Gottes drückt die ganze Vielfalt der Glaubenserfahrungen aus. Ich hatte einmal ein schönes ghanaisches Kirchenlied gehört. Ich fragte einen Freund aus Ghana: „Sag mal, kennst du das Lied? Kannst du es mir vorsingen?“ Er sagte ja, er kannte es sehr gut, aber er konnte es mir nicht vorsingen. Ein paar Tage später klingelte es an meiner Tür. Da stand Kwame mit fünf seiner Landsleute. „Jetzt kann ich dir das Lied singen,“ sagte er. Und so kamen sie herein. Eine Solostimme fing an, die anderen kamen einer nach dem anderen dazu. Da gab es keine Grundmelodie, die von den anderen Stimmen ergänzt wurde, so wie wir es kennen, wenn wir mehrstimmig singen. Jeder sang sein unverwechselbares Teil. Nur zusammen entstand das Ganze. So stell ich mir das Loblied der Völker vor Gottes Thron vor. Die Stimmen der Chöre aus aller Welt fügen sich zusammen zur perfekten Harmonie.

Singet dem Herrn ein neues Lied, singet dem Herrn, alle Welt. Damit ist nicht nur das Singen in unseren Gottesdiensten gemeint. Das ist schon wichtig, vor allem für uns, aber der Psalmist geht ein Schritt weiter. Unter den Heiden sollen wir von Gottes Herrlichkeit erzählen, sagt er. Hier in unseren Gottesdiensten, wo kaum einer hinkommt, der nicht schon irgendeine Beziehung zum Glauben hat, finden sozusagen die Übungsstunden der Chöre statt. Hier bestärken wir uns gegenseitig im Glauben und Vertrauen. Aber wenn unsere Lieder nur unter uns blieben, ginge es um nicht viel mehr als eine Art Badewannenlied – im abgeschlossenen Raum, wo es herrlich schallt und hallt, ungestört und unbemerkt von der Außenwelt. „Erzählt unter den Heiden von seiner Herrlichkeit!“ Ja, und merken Sie? Erzählt! Wir müssen nicht mutterseelenallein in der Öffentlichkeit singen, ob wir begabt sind oder nicht. Jetzt dürfen wir erzählen. Wir sollen das erzählen, was wir mit unseren Liedern eingeübt haben. Wir sollen von Herzen Gott preisen. Wir sollen keine trockene Theologie erzählen. Wir sollen auch nicht auswendig gelernte Glaubenssätze erzählen. Wir sollen ganz einfach Gott loben, indem wir erzählen, was Gott alles Gutes an uns getan hat.

„Sagt unter den Heiden: Der Herr ist König“, sagt der Psalmist weiter. „Der Himmel freue sich und die Erde sei fröhlich. Denn er kommt zu richten das Erdreich. Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit seiner Wahrheit.“ Das ist eine frohe Botschaft für unsere Mitmenschen. Der Herr, der im Anfang alles geschaffen hat, kommt uns entgegen mit Gerechtigkeit und Wahrheit. Das soll den Menschen Mut machen, die gestresst, bedrückt und traurig sind. Das soll den Menschen Hoffnung geben, die unter Krieg und Zerstörung leiden. Das soll den Menschen Kraft schenken, die hungrig sind oder auf der Flucht. Gott ist König. Er kommt auf uns zu und bringt Gerechtigkeit und Wahrheit.

Liebe Gemeinde, das darf nicht unser Geheimnis bleiben. Das müssen wir hinaustragen, weitersingen, weitersagen. Gestärkt von unserem Lob mitten in der Gemeinde, gestärkt von der Gemeinschaft, die durch das gemeinsame Singen unter uns entstanden ist, gehen wir hinaus, um Gott zu loben mit unseren Worten und mit unserem ganzen Leben.

Zugegeben, ich bin manchmal stumm. Manchmal ist mir eher nach Klageliedern zumute. Dann ist es gut, einen Vorsänger zu haben, wie den Psalmisten. Es ist gut, wenn wir einander die Melodie des neuen Liedes vorsummen, vorsingen, einander einladen, mit einzustimmen. Ja, zum Lob Gottes brauchen wir einander – und erst recht, um das Lob Gottes in die Welt hinauszutragen.

Pfarrerin Ann Schreiter

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