Predigt zu Himmelfahrt, 21.5.2009 — Pfr. Schreiter
Predigt über Apostelgeschichte 1, 1-11
am Himmelfahrtstag, den 21. Mai 2009
in Pichelsdorf
Wir haben eben zusätzlich zur Epistel des Himmelfahrtstages die ersten beiden Verse der Apostelgeschichte mitgehört. Noch einmal zur Erinnerung: „Den ersten Bericht habe ich gegeben, lieber Theophilus, von all dem, was Jesus von Anfang an tat und lehrte usw.“ Die Apostelgeschichte ist also ein zweiter Bericht. Sie wissen das sicher: Der dazugehörige erste Bericht ist das Lukasevangelium. Beide Bücher sind einem gewissen Theophilus gewidmet, von dem wir sonst nichts wissen; die Widmung bedeutet möglicherweise, dass Theophilus die Verbreitung dieser Bücher finanzieren sollte.
Lukas hat also ein Evangelium geschrieben — dabei hat er schon Vorbilder gehabt — und dann — das ist neu — schrieb er eine Fortsetzung. Man kann sagen: Für Lukas lief das ganze Alte Testament auf Jesus zu und war mit Johannes dem Täufer abgeschlossen. Ja, bei diesem Evangelisten war Johannes der Täufer eigentlich eine alttestamentliche Gestalt. Dann kam Jesus, und sein Leben war, wie der Titel eines berühmten Kommentars sagt, die „Mitte der Zeit“, man könnte auch sagen: der Höhepunkt der Weltgeschichte. In einem gewissen Sinn ging es danach wieder abwärts, und es kam die Zeit der Kirche. Es gibt ein böses Wort: Jesus hat das Reich Gottes gepredigt, und stattdessen ist die Kirche gekommen. So negativ hat Lukas das bestimmt nicht gesehen. Für ihn hingen Kirche und Reich Gottes ganz eng zusammen.
Mich beschäftigt nun am Anfang der Apostelgeschichte die Frage: Warum lässt Lukas die zweite Hälfte der Weltgeschichte mit Himmelfahrt beginnen und nicht mit Ostern. Diese Frage interessiert mich besonders, weil wir mit Himmelfahrt als Fest bestimmte Probleme haben. Selbst wenn wir zu jener verschwindenden Minderheit gehören, die Himmelfahrt noch Himmelfahrt nennen und nicht Vatertag, so haben wir es doch schwer, zu erklären, was die Botschaft gerade dieses Tages ist.
Ich denke, es geht da zunächst um zweierlei: Zum einen die Botschaft: Jesus Christus herrscht als König, er sitzt zur Rechten des Vaters, er ist verherrlicht, er ist erhöht. So heißt es etwa in der berühmten Stelle in Philipper 2: „Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist.“ Hier ist die Auferstehung überhaupt nicht erwähnt, sondern gleich die Erhöhung; man könnte sagen: Ostern und Himmelfahrt fallen zusammen.
Die andere Botschaft, die dieser Tag enthält, ist die: Jesus ist im Himmel, das heißt, er ist da, wo Gott ist, also überall. Hinter der sichtbaren Wirklichkeit gibt es eine andere Wirklichkeit, in der uns Jesus Christus unsichtbar begegnet. Dass Jesus immer bei uns ist, uns begleitet und führt, uns versteht und zu uns redet, auch jetzt in diesem Raum, aber nicht nur hier — das nennen wir ja sonst Heiligen Geist, und dann fällt das Thema des Himmelfahrtstages eigentlich mit Pfingsten zusammen. Himmelfahrt ist also irgendwie zwischen Ostern und Pfingsten angesiedelt, und wir brauchten dafür kein besonderes Fest. Wenn wir diesen Gedanken noch weiter spinnen, dann werden wir merken, dass man eigentlich auch Ostern und Pfingsten zusammensehen muss, und genau das geschieht im Johannesevangelium; da sind Ostern und Pfingsten tatsächlich eins, und genauso sind Karfreitag und Himmelfahrt eins.
Trotzdem ist uns dieser Gedanke fremd, und das rührt daher, dass wir unsere Vorstellung von Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten eben nicht von Johannes übernommen haben, sondern von Lukas. Lukas hat in seiner ersten Kirchengeschichte die einzelnen Seiten von Ostern auf verschiedene Daten verteilt: das leere Grab und die ersten Erscheinungen des Auferstandenen auf den Ostertag, die Verherrlichung Jesu auf den Tag, an dem sich Jesus seinen Jüngern zum letzten Mal zeigte, und das Geschenk des Geistes auf Pfingsten. Hierin liegt die Entstehung des Kirchenjahres. Und das Kirchenjahr ist uns so selbstverständlich geworden, dass wir kaum noch daran denken, dass es für die ersten Christen kein Kirchenjahr gegeben hat, sondern dass jeder Sonntag ein Osterfest war.
Liebe Gemeinde, als Theologe müsste ich eigentlich den Johannes besser finden, wie er Ostern und Pfingsten ineinander fallen lässt. Aber mir ist der Lukas lieber; er erscheint mir einfach menschlicher. Ich glaube, er weiß einfach besser, wie das ist, wenn wir einen geliebten Menschen durch den Tod verlieren. Dann wird es uns genauso gehen wie den Jüngern damals, dass wir die Osterbotschaft hören, die Botschaft, dass Jesus auferstanden ist und dass auch wir auferstehen, aber in unserer Trauer begreifen wir es noch nicht. Vielleicht halten wir uns daran fest wie an einem Satz, den wir auswendig gelernt haben oder den wir einfach nur glauben wollen, aber mit dem Herzen erfassen wir die Auferstehung erst viel später. Erst einmal sind wir traurig, und es dauert seine Zeit, und es darf auch seine Zeit dauern, bis uns die Auferstehungsbotschaft wirklich tröstet. Mit der Zeit dringt diese Botschaft bei uns in die Tiefe vor und wird zur Gewissheit. Hierin sehe ich die Bedeutung der 40 Tage zwischen Ostern und Himmelfahrt, und hier sehe ich die Antwort auf die Frage, warum die Kirchengeschichte des Lukas bei Himmelfahrt und Pfingsten beginnt, weil diese Kirchengeschichte getragen wurde von Menschen, für die Ostern nicht nur ein angelerntes Wissen war, sondern eine Gewissheit.
Aber jetzt lassen Sie uns darangehen und betrachten, wie Lukas das letzte Zusammensein von Jesus und seinen Jüngern schildert! Zunächst sind die 40 Tage nach Ostern dadurch gekennzeichnet, dass Jesus seinen Jüngern erscheint, und zwar in einer neuen Art von Leiblichkeit; es ist merkwürdig anders als vor Ostern, aber trotzdem begegnet ihnen Jesus in einer irdischen Wirklichkeit; er wird — wenigstens zeitweise — Teil ihrer Welt. Schon jetzt machen die Jünger dabei die Erfahrung, dass sie Jesus in dieser Welt nicht festhalten können, dass sie ihn freigeben müssen, genauso wie wir unsere Verstorbenen freigeben müssen. Ich sage gelegentlich auf dem Friedhof: Einen Verstorbenen loszulassen ist unser letzter Dienst der Liebe. Wirklicher Trost liegt nicht im Vergessen, wirklicher Trost liegt in dem bewussten Ja dazu, dass ein Mensch, der von uns gegangen ist, jetzt bei Gott ist. Auch Jesu Jünger mussten diese Lektion lernen. Sie hatten dazu 40 Tage Zeit. Aber es hat ihnen nicht gereicht. Sie haben Jesus die Frage gestellt: „Herr, wirst du in dieser Zeit wiederaufrichten das Reich für Israel?“ Das bedeutet doch: Sie wollten Jesus einfach wiederhaben — in ihrer Welt, in ihrem Land, sogar in ihrer Politik. Das war immer noch die alte Erwartung vom Messias, aber sie ist seit Himmelfahrt überholt. Jesu Botschaft ist nie das Reich für Israel gewesen, sondern das Reich Gottes. Dieses Reich Gottes hat zwar immer mit der Welt zu tun, durchdringt die Welt, aber es wird nicht Teil der Welt.
Das hatten die Jünger immer noch nicht kapiert. Jesus verspricht ihnen an dieser Stelle die Kraft des Heiligen Geistes. Das heißt: Jesus ist weiter da, aber nicht in den menschlichen Grenzen, wie es sich seine Jünger wünschen, sondern unbegrenzt von Raum und Zeit.
Trotzdem hat sich Jesus mit seiner Himmelfahrt nicht aufgelöst in irgendein nebulöses Gebilde; seine Leiblichkeit ist jetzt die Leiblichkeit seiner Gemeinde: „Ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Enden der Erde.“ Was die Jünger bisher mit Jesus erlebt hatten, das sollten sie jetzt selbst weitertragen in die Welt. In unserer Welt den Himmel unmittelbar zu sehen, ist uns Menschen verwehrt, aber was wir sehen können, ist das Abbild des Himmels, die Gemeinde.
Das ist einer der schwierigsten Punkte unseres Glaubens. Es geht Ihnen sicher wie mir, dass wir unter der Gestalt unserer Kirche teilweise erheblich leiden. Und manchmal leiden wir nicht nur, sondern wir sind regelrecht sauer. Wie kann das, was wir in unserer Kirche vorfinden, ein Abbild des Himmels sein? Wie sollen wir Menschen vom Himmel zu erzählen — nicht vom besseren Jenseits, sondern von dieser von Gott geliebten Welt, von Glück und Erfüllung und Sinn. Und dann hält man uns das Bild vor, das unsere Kirche von diesem Himmel abgibt. Wenn man dann doch wenigstens die Kirche mit gutem Gewissen in Schutz nehmen könnte! Aber selbst das kann man nicht immer.
An dieser Frage entsteht eine ganz gefährliche Versuchung: die Versuchung, uns innerlich von der Kirche zu distanzieren und uns mit unseren Gesprächspartnern innerlich gegen die Kirche zu verbünden. Dabei verleugnen wir nicht nur, dass wir ja selbst dazugehören, sondern wir verstellen anderen Menschen den Blick für die wichtigste leibliche Form, in der der Auferstandene ihm begegnen könnte. (Und das sage ich als jemand, der die Ansicht vertritt, dass unsere Kirche in ihrem öffentlichen Auftreten in jüngster Zeit viele unnötige Fehler gemacht hat und immer noch viel zu wenig tut, solche Fehler abzustellen.)
Es ist so wichtig, dass es für den Himmel eine irdische Relaisstation gibt, auch wenn sie Störungen und Schaltfehler hat. Ein Mensch, der sich nach der Erfahrung des Himmels sehnt, dem helfen wahrscheinlich selbst noch die Unvollkommenheiten der Gemeinde dazu, dass ihm die Schwelle nicht zu hoch wird. Natürlich bleibt es eine große Verantwortung, anderen Menschen den Blick auf den Himmel nicht zuzustellen, sondern alles zu tun, um den Himmel erkennbarer und deutlicher zu machen. Indem wir es tun, werden wir ihn immer wieder selbst finden.
Diese Aufgabe gibt Jesus seinen Jüngern auf diesem letzten Beisammensein, und es ist eigentlich klar, dass damit auch ein Abschnitt im Leben dieser Menschen zu Ende ist — und das lassen Sie uns beachten: Trotz Ostern ist dieser Abschnitt erst hier zu Ende! Das Ende ist klar markiert; die Erscheinungen des Auferstandenen sind nicht allmählich seltener geworden und haben dann aufgehört — nein, am Ende stand eine ganz intensive Begegnung und ein Auftrag.
Liebe Gemeinde, die Sache mag Ihnen unwichtig erscheinen, aber ich sehe hier einen ganz wichtigen Aspekt von Himmelfahrt: Er zeigt deutlich an, dass die Osterereignisse mehr waren als die psychologische Folge der Trauer der Jünger. Ostern lässt sich — bei allen psychologischen Parallelen — doch nicht psychologisch auflösen, und Himmelfahrt ist hier ein wichtiges Argument: Die Erscheinungen enden plötzlich, und sie haben sich so in der ganzen Kirchengeschichte nicht wiederholt.
Aber wie endet nun diese Erscheinung? Eine Wolke entzieht Jesus den Blicken seiner Jünger — die Wolke hier ganz sicher ein Bild für die Gegenwart Gottes, der Übergang in eine neue Seinsweise. Es gibt wohl kaum ein Ereignis, an dem die christliche Kunst so sehr gesündigt hat wie an diesem. Sehr viele Menschen verwechseln heute noch solche Bilder mit unserem Text. Man hört dann Argumente wie: Die ganze Geschichte von Himmelfahrt ist doch überholt; seit Kopernikus wissen wir ja, dass es diesen Himmel, wie ihn sich die Leute damals vorgestellt haben, gar nicht gibt. Nun hatten die Menschen damals gewiss eine andere Vorstellung als wir, wenn sie ihren Blick zum Himmelszelt richteten. Aber wir sollten sie nicht für so naiv halten, als hätten sie gemeint: Jesus ist jetzt da oben. Jesus ist gewiss oben, aber eben nicht in einem naiven räumlichen Sinn, sondern in jenem übertragenen Sinn, in dem der Himmel unsere sichtbare Wirklichkeit überlagert und trägt und lenkt. In diesem und nur in diesem Sinn ist Jesus zum Himmel gefahren. Himmelfahrt heißt nicht Abschied, Himmelfahrt heißt ganz im Gegenteil seine Nähe, seine Liebe, seine Kraft — gerade hier, jetzt bei uns. Das machen auch noch einmal die beiden Engel in dieser Geschichte deutlich: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel?“ Euer Glück ist nicht da oben oder wo auch immer sonst ihr euren Himmel zu finden meint — weder im Urlaub noch im nächsten Weihnachtsfest, weder in der Erinnerung an die gute alte Zeit, noch in den Träumen von einer besseren Zukunft. Himmel ist überhaupt nie woanders. In dieser unserer Welt will Jesus uns heute begegnen; er will heute und hier unser Herr sein. Wenn wir so viel über den Himmel wissen, dann wissen wir genug. Amen.
Pfarrer Rolf Schreiter
1.5.2008 (Himmelfahrt): Eph. 1, 20b-23
Predigttext: Eph 1, 20b-23 (VI. Reihe)
Gnade sei mit euch
und Frieden von GOtt, unserem Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
Amen.
Liebe Gemeinde!
So stellen wir uns den Himmelfahrtstag eigentlich vor. So lieben wir ihn: Herrliches Wetter. Blühende Welt. Strahlend blauer Himmel. Glänzende Laune. Das Wetter und die Natur sind der reinste Stimmungsaufheller. Die Menschen, denen wir dann begegnen, sind sichtbar heiter gestimmt. Es ist regelrecht ein Freude, unterwegs anderen zu begegnen, Radfahrern, Joggern, Familien, Reitern, Leuten in den Gärten. Wer wollte da nicht manchmal alle und alles umarmen. Nicht nur die Menschen. Auch die austreibenden Bäume in ihrem frischen Grün. Auch die Wolken und den Himmel. Wer möchte da nicht manchmal Himmel und Erde in einem Atemzug fassen. Aber wer könnte das!
Herrliches Wetter sagen wir. Doch was heißt das eigentlich? Ein Wetter, in dem wir uns wie Herren vorkommen? Vielleicht. An solch einem Tag fühlen wir uns stark, besonders die Teilnehmer der Herren-Partien. Aber der Herr ist eigentlich ein anderer.
Christus, der geschlagene, der geschundene, der gefolterte, der auf die schädlichste und grausamste Weise hingerichtete – schlimmer als vielleicht manche in ihrem Betrieb kaputtgemacht wurden, in der Arbeit untergegangen sind, verbal getreten, gemobbt wurden oder in die Tretmühlen der Arbeitslosigkeit geraten sind.
Sagte ich da: Herr ist eigentlich nur einer, Christus? Das kann er dann nicht zum Einschüchtern sein, sondern dazu, daß er uns in seine Rolle, Herr zu sein, als die Erlösten mit hineinnimmt, gerade die Geschundenen und auch Sie und Sie.
Sagte ich da: Wir möchten alles umarmen, Himmel und Erde ganz in sich hineinatmen? Wer kann das schon. Ich nicht, Sie auch nicht. Das ist doch nur so ein Gefühl.
Doch genau das, was wir grad an solch einem Tag wie heute wohl gerne täten, aber ja doch nicht können, genau das wird von Christus gesagt. Himmel und Erde umfaßt er. Bäume und Autos und Städte, also alles, was wir heute mit unseren Augen so sehen – und viel mehr als das. Und Stimmungen, Lieder, politische Bewegungen, Maidemonstrationen und Herrentagskremser. Und geheime Gedanken, all das Unsichtbare – umfaßt er! Die Arbeitswelt, Amt und Land und die Staaten der UNO, alles, was jetzt unsere Welt ausmacht – und was daraus werden kann an Völkerfrieden und Menschenglück und was danach die neue Welt GOttes sein wird. Von diesem Christus, der dies alles umspannt, der Himmel und Erde in einem Atemzug faßt, Diesseits und Jenseits, das Jetzt und Später, von dem ist dies alles im heutigen Predigttext aus dem 1. Kapitel des Epheserbriefes gesagt:
GOtt hat durch die Macht seiner Stärke Christus von den Toten auferweckt und ihn gesetzt zu seiner Rechten in den Himmeln,
hoch über alle Obrigkeit und Gewaltausübung
…