Kann das Coronavirus eine Strafe Gottes sein?

Nicht nur Christinnen und Christen machen sich angesichts der globalen Naturkatastrophe, die Sars-CoV-2 (so die offizielle Bezeichnung für das „neuartige Coronavirus“) darstellt, Gedanken, ob Gott oder „eine höhere Macht“ hier die Menschheit bestrafen möchte. Andere hingegen fassen allein schon diese Frage als religiös übersteigerte Panikmache auf. Die Frage darf natürlich gestellt werden und sie muss theologisch sauber beantwortet werden können.

Der katholische Churer Weihbischof Marian Eleganti zum Beispiel hat vor einigen Tagen einen Zusammenhang zwischen „der Hingabe an Gott“ und „den Plagen, die die Völker treffen“, hergestellt (zum Video auf YouTube). Seiner Position wurde sowohl von KirchenvertreterInnen, als auch vom Zürcher Gesundheitsamt deutlich widersprochen.

Sowohl der evangelische Pfarrer Frank Muchlinsky von evangelisch.de, als auch der katholische Theologe Dr. Gunther Fleischer lehnen die Auffassung ab, die Corona-Epidemie sei eine Gottesstrafe. Pfarrer Muchlinsky steigert sich dabei in die psychologische Theorie hinein, wer so denke, „möchte [selbst] gern bestraft werden“. Gunther Fleischer geht auf die Theodizee-Frage ein (kurz: Warum lässt Gott Leid zu?), um sie am Ende dann doch offen zu halten: „Hier muss man nochmal neu nachdenken.“

Die meisten, die der Auffassung widersprechen, das Corona-Virus könnte eine Strafe Gottes sein, lehnen diese als zynisch ab. Es werde ja eben nicht „die Menschheit“ bestraft, sondern trotz aller Verbreitung des Virus leiden und sterben nur einige wenige. Wieso sollten ausgerechnet sie bestraft werden? Wenn es eine Strafe wäre, wäre es zudem keine pädagogisch sinnvolle Strafe: Welche Verfehlung sollte denn mit diesem Virus bestraft werden und wer sollte daraus etwas lernen?

Auch Jesus sieht eine solche Geisteshaltung als problematisch an – jedoch unter umgekehrten Vorzeichen. In Lukas 13,1-5 findet sich eine etwas verstörende Erzählung. Eine aufrührerische Gruppe von Menschen aus Galiläa wurde von römischen Soldaten beim Darbringen ihrer Opfergaben hingerichtet. Außerdem ist in der Stadt Siloah ein Gebäude eingestürzt. Daraufhin ergibt sich folgende Begegnung:

Es waren aber zu der Zeit einige da, die berichteten Jesus von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. Und er antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben? Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen. Oder meint ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm von Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen seien als alle andern Menschen, die in Jerusalem wohnen? Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen.

Lukas 13,1-5

Aus Jesu Sicht lässt sich Schuld vor Gott nach dieser Erzählung weder bemessen, noch anderen zuschreiben. Schuld kann man nach diesen Worten Jesu nur auf sich selbst beziehen, sofern sie der Buße, also der Hinwendung zu Gott und zum Leben bei ihm dient. Wenn Jesus hier sagt, wer nicht Buße tue, werde „ebenso umkommen“, meint er damit nicht etwa, dass alle, die nicht glauben, eines plötzlichen gewaltsamen Todes sterben werden. Sondern hierbei geht es Jesus um um den Tod, der nicht ins ewige Leben führt.

Ist also das Coronavirus (oder irgendeine andere [Natur-]Katastrophe) als Strafe Gottes zu bezeichnen? Nein, aus christlicher Sicht ganz sicher nicht. Eine „Kollektivstrafe“ ist nichts, was dem Wesen des Vaters Jesu entsprechen würde. Nicht einmal die Sintflut könnte als Kollektivstrafe betrachtet werden, denn „der HERR sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar“ (1. Mose 6,5). Nach der biblischen Erzählung habe die Sintflut also nur jene getroffen, die sie wirklich verdient hätten. Zudem hat Gott Noah und seinen Nachkommen versprochen, dass sich so etwas nicht wiederholen werde.

Bleibt nun noch die Frage: Warum tut Gott so etwas? Oder wieso lässt Gott den Virus (bzw. das Leiden überhaupt) zu, wenn nicht zur Strafe? Aus Böswilligkeit? Oder kann er nicht anders? Ich meine, wer diese (Theodizee-)Frage stellt, sollte sich selbst erst einmal fragen, woher denn seine eigene Idee von dem kommt, was er „Gottes Allmacht“ nennt. Denn aus christlicher Sicht ist Gottes Allmacht die Macht der Liebe, die sich in Kreuz und Auferstehung Jesu gezeigt hat, die die Macht des Todes überwindet.

Gottes Macht hilft, so verstanden, nicht unbedingt gegen eine Infektion mit dem Coronavirus. Händewaschen hilft da besser. Aber Gottes Macht hilft gegen die Angst, gegen die Einsamkeit, gegen die Lüge, gegen die Gier und gegen den Hass, die uns den Umgang mit der aktuellen Situation schwermachen könnten. Das ist die Macht Gottes, die wir erfahren und von der wir sprechen können.

Das Coronavirus ist keine Strafe Gottes. Es ist Teil der Natur. Es ist Teil der Schöpfung Gottes. Wegen der Maßnahmen gegen das Virus werden viele Menschen verzweifeln; manche werden dadurch selbst krank, vielleicht Angehörige verlieren. Wir alle sind jetzt schon davon betroffen. Ich verstehe diese Zeit als eine Zeit, in der sich Gottes Macht über jeden Einzelnen in besonderer Weise bewähren kann – mit ihrem Trost, mit ihrer Kraft, mit ihrer Hoffnung und mit ihrer Liebe.