Predigt von Pfarrer Christopher Piotrowski vom 24.12.2019 zur Christvesper.
Predigttext: Hesekiel 37,24-28
Liebe Festgemeinde, Brüder und Schwestern,
Bei
der Vorbereitung auf diesen Gottesdienst haben der
Vorsitzende unseres Gemeindekirchenrats
und ich darüber diskutiert, wer denn den Gottesdienst eröffnen und
die Gemeinde begrüßen soll. Wer im Lauf des Jahres zu unseren
Sonntagsgottesdiensten kommt, der weiß: Normalerweise steht am
Anfang nicht der Pfarrer vorne. Sondern das erste Wort hat – nach
der Orgel – der Lektor oder die Lektorin. Jemand aus der Gemeinde.
Als
ich mit Reinhard sprach, ob es für ihn in Ordnung sei, die Begrüßung
zu machen, wurde ich entgeistert angeblickt: „Zu Heiligabend? Nein,
das muss der Pfarrer machen. Da kommen die Leute doch zur Kirche, um
den Pfarrer zu sehen! Das
ist jedes Jahr so.“ „Und wollen wir das nicht mal anders machen?“
– „Nein, das geht nicht. Nicht zu Heiligabend.“
Ich
habe seit einiger Zeit eine Theorie. Weihnachten ist ja vieles: Das
Fest der Liebe, das Fest der Familie und natürlich das Fest von Jesu
Geburt. Doch vor allem scheint mir an Weihnachten jedes Jahr von
neuem – alle Jahre wieder – eines gefeiert zu werden, nämlich:
Dass es
etwas gibt, das
so bleibt, wie es immer ist.
Weihnachten
feiern
viele Menschen, als wollten sie damit an ihre Kindheit
anknüpfen. An
eine Zeit, in der die
Welt noch in Ordnung war, als die
Eltern uns
Probleme
vom Leib hielten, von
denen wir noch gar nichts wussten.
Mit jeder leuchtenden Kerze am Weihnachtsbaum kehrt das Leuchten der
Kindheit in unsere Augen zurück.
Weihnachten
haben
wir
jedes Jahr von neuem die
Chance: Wir
erinnern uns an die alten Lieder, wir hören die immer gleichen Songs
im Radio (Last
Christmas oder Jingle Bells). Bilder
kehren zurück von Familie und Geborgenheit, von Geschenken; der
Duft von Plätzchen, Zimt und Nelken steigt in die Nase, wie es schon
im Anfang war:
Nicht nur Gott wird Kind, auch der Mensch wird Kind.
Weihnachten
ist für viele Menschen das Fest ihrer eigenen Kindheit. Oder
auch einer Kindheit, die sie sich gewünscht
hätten. Wer
etwas an Weihnachten verändert, der pfuscht in der Kindheit anderer
Menschen herum. Denn:
Was
anderes ist denn Weihnachtsstimmung als das wunderbare Gefühl, in
der Geborgenheit der Familie in einer leuchtenden und duftenden Welt
Kind sein zu dürfen? Und wenn ihr selbst Eltern oder Großeltern
seid: Dieses Gefühl euren Kindern und Enkeln zu ermöglichen?
Gegen
alle Stürme des Lebens dennoch in einer Zeit zu leben, in der doch
alles in Ordnung ist; ohne Furcht,
ohne
Sorge, in Geborgenheit, satt und selig. Das ist das Gefühl, das sich
Weihnachten einstellen darf. So vieles setzen wir daran, das uns und
anderen zu ermöglichen, es zu bewahren und weiterzugeben. Und so
soll es auch sein, denn dieses Gefühl von vollkommener Stabilität
gehört zu der Verheißung von Weihnachten! Gott selbst verheißt es
durch seinen Propheten Hesekiel:
Mein Knecht David soll ihr König sein und der einzige Hirte für sie alle. Und sie sollen wandeln in meinen Rechten und meine Gebote halten und danach tun. Und sie sollen wieder in dem Lande wohnen, das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe, in dem eure Väter gewohnt haben. Sie und ihre Kinder und Kindeskinder sollen darin wohnen für immer, und mein Knecht David soll für immer ihr Fürst sein. Und ich will mit ihnen einen Bund des Friedens schließen, der soll ein ewiger Bund mit ihnen sein. Und ich will sie erhalten und mehren, und mein Heiligtum soll unter ihnen sein für immer. Meine Wohnung soll unter ihnen sein, und ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein, damit auch die Völker erfahren, dass ich der HERR bin, der Israel heilig macht, wenn mein Heiligtum für immer unter ihnen sein wird.
Hesekiel 37,24-28
Der ewige göttliche Friede – Hesekiel erinnert das israelische Volk an seine Kindheit im Land seiner Väter. Israel, das sind in dieser Verheißung die Kinder und Kindeskinder, die einst geborgen und sicher und stabil und mit Gott in Jerusalem lebten. Sie werden wieder dorthin zurückkehren, verspricht Gott. Israel war wenige Jahre zuvor von den Babyloniern im Krieg erobert worden. Die Babylonier hatten viele tausend Israeliten nach Babylon verschleppt. Zu ihnen gehört auch der Prophet Hesekiel. Für das Volk Israel war nichts mehr so wie früher. Der Tempel, in dem Gott gewohnt hatte, war zerstört worden. Doch Gott verheißt seine Rückkehr.
An
Weihnachten
kommt
Gott in
diese Welt zurück.
Für
alle Menschen. Jedes
Weihnachten fühlt sich anders an. Wenn wir älter werden, begreifen
wir anders. Das erste Weihnachten mit einem Kind fühlt sich anders
an als ein Weihnachten nach einer Trennung. Wer in eine neue Wohnung
gezogen ist, feiert dort Weihnachten anders als in der alten. Und
wenn
jemand fehlt, mit dem man sonst Weihnachten gefeiert hat, dann ist
das eine schmerzhafte Erfahrung.
All
diese Veränderungen erinnert daran, dass der Frieden von Weihnachten
in dieser Welt brüchig ist. Wenn
wir uns an die Geborgenheit der Kindheit erinnern, dann wenden wir
uns der Verheißung von Weihnachten zu. Wenn
wir unsere Kinder die Geborgenheit von Weihnachten erleben lassen,
dann lernen sie das Gefühl kennen, das Gottes Anwesenheit in der
Welt weckt. Dieses
Gefühl zu kennen, ist die Voraussetzung dafür, sich nach Gottes
Frieden für uns und für alle Menschen sehnen zu können.
Wenn
es gelingt, zu
Weihnachten wie ein Kind diesen
Frieden im Herzen zu umfangen, dann wohnt Gott bei uns. Dann können
wir diesen Frieden weitergeben. All
unsere Traditionen helfen uns dabei, dieses Gefühl des Friedens zu
wecken. Aber es
hängt nicht daran, dass Weihnachten immer gleich gefeiert wird.
Ja,
möglicherweise begrüßt immer der Pfarrer die Gemeinde an
Heiligabend zuerst. Früher war vielleicht mal mehr Lametta. Aber
dieses
Gefühl vom Frieden Gottes soll
nicht wie
Lamettareste
an den Nadeln des Weihnachtsbaumes hängen bleiben, wenn er in ein
paar Wochen aus der Wohnung gebracht wird. Dieses Gefühl vom Frieden
Gottes soll nicht mit dem Wachs der letzten Weihnachtskerze
erstarren, wenn sie ausgepustet wird. Dieses
Gefühl vom Frieden Gottes soll nicht verfliegen, wenn der
Weihnachtsduft verweht. Dieses Gefühl, Kind zu sein, ist der
Ursprung unserer Sehnsucht nach Gottes Frieden. Gott wurde Kind,
damit wir seine Kinder bleiben.
Amen.