Predigt an Invokavit 2019 (Ehrenamtsdank)

Predigt von Pfarrer Christopher Piotrowski am 11. März 2019 in der Gnadenkirche zum Predigttext Hebräer 4,14-16:

Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. 1Darum lasst uns freimütig hinzutreten zu dem Thron der Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden und so Hilfe erfahren zur rechten Zeit.

Hebräer 4,14-16

Liebe Brüder und Schwestern,

heute feiern wir hier in der Gnadenkirche einen Dankgottesdienst für alle Ehrenamtlichen unserer Gemeinde. Für viele von euch, die ihr hier seid. Ich muss gestehen, dass ich beim Vorbereiten des Gottesdienstes und schon beim Nachdenken über die Gestaltung der Einladungskarten ins Grübeln kam. Danken – ganz wichtig. Aber wer dankt hier eigentlich wem und warum?

Nun, der Pfarrer hat die meisten Einladungskarten unterschrieben. Also wird er den Ehrenamtlichen danken wollen, dass sie die Gemeinde am Laufen halten. Das ist ein Gedanke, der sich hier vielleicht einigen aufdrängt. Als mir dieser Gedanke kam, wurde mir jedoch unwohl. Ich bin noch kein dreiviertel Jahr hier. Und mein Alter zählt nicht einmal so viele Jahre, wie sich einige schon in dieser Gemeinde einsetzen.

Ich bin hier ja nicht als Pfarrer in meine Gemeinde gekommen, sondern zuerst in eure Gemeinde: um für euch in dieser Gemeinde zu arbeiten, um der Gemeinde als Pfarrer zu dienen. Nicht, um hier zu herrschen. Zwar gehört auch die Co-Leitung der Gemeinde zu meinen Aufgaben. Aber auch das ist ein Dienst. Denn der einzige, der in einer Gemeinde zu herrschen hat, ist Jesus Christus, der der Herr der Kirche ist.

Ich hoffe, ihr versteht das Problem: Würde ich euch heute für euren ehrenamtlichen Einsatz danken – würde das nicht so klingen, als würdet ihr mit eurem Einsatz etwas für mich tun? Für meine Sache? Ja, es ist natürlich auch meine Sache, Gottes Wort in der Welt zu bezeugen. Doch vor allem ist es eure Sache, das als Gemeinde zu tun. Gott hat euch durch das Evangelium berufen und durch euren Glauben dazu bestimmt, in seinem Dienst in der Welt zu stehen mit euren Gaben, mit allem, was Gott euch gegeben hat. Deswegen seid ihr und sind wir eine Kirchen-Gemeinde.

Würde denn eine Zahnärztin zu ihrem Patienten sagen: Danke, dass Sie sich die Zähne putzen? Oder würde ein Koch zu seinen Gästen sagen: Danke, dass ihr mein Essen esst? Wie soll das gehen? So unangemessen schiene es mir, wenn ich zu euch sagen würde: Danke, dass ihr euch für die Gemeinde und die Kirche einsetzt, wenn ich das als Pfarrer täte.

Doch bin ich ja nicht nur Pfarrer, ich bin auch Christ. Als Christ bin ich Teil der Kirche und der Gemeinde. Als Christ lebe ich nicht nur für mich in dieser Welt, sondern ich bin ein Bote für Gottes Reich. Jeder Christ und jede Christin ist das. Deswegen finden sich Christinnen und Christen ja auch zur lebendigen Kirche zusammen. Wir alle haben etwas in unserem Leben erfahren, das wir weitergeben wollen. Das aber will und kann niemand alleine tun. Wir können das nur gemeinsam: Miteinander leben, voneinander lernen, einander beistehen, Gottes Gegenwart bezeugen.

Nicht als Pfarrer, sondern allein als Christ und Teil der Gemeinde kann ich daher von Herzen sagen: Danke, dass ihr euch in der Gemeinde einbringt. Ihr übernehmt Aufgaben, die ich alleine nicht hinbekommen würde. Ihr teilt jedes Jahr 24.000 Gemeindebriefe aus. Ihr harkt zentnerweise Laub zusammen. Ihr begleitet Jugendfahrten und betreut Kinder. Ihr besucht Menschen, die in Not sind. Ihr haltet selbst Gottesdienste oder wirkt darin besonders mit. Ihr leitet die Gemeinde. Ihr putzt und wischt, ihr organisiert und ladet ein, ihr bereitet vor und räumt auf, ihr repariert und baut neu. All das könnte ich nicht. Schon gar nicht alleine. Dafür sei von Herzen Dank gesagt. Nicht von mir als Pfarrer, sondern von mir als Christ.

Als Pfarrer aber sage ich euch das: Seht nach rechts und nach links. Seht, wer neben euch sitzt. Ihr dürft selbst einander Dank sagen! Euch steht es zu, dass ihr einander dankt für die Aufgaben, die andere in eurer, in unserer Gemeinde übernommen haben. Ihr seid die Gemeinde. Ohne diejenigen, die neben, vor und hinter euch sitzen, würde so manches hier nicht funktionieren. Einander könnt ihr danke sagen.

Im Predigttext aus dem Hebräerbrief war von Jesus als dem Hohenpriester die Rede. Einer, der mit uns mitleiden kann. Einer, der ohne Sünde ist. Daraus folgt, dass wir freimütig zum „Thron der Gnade“ hinzutreten können, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen, Gnade finden und Hilfe erfahren.

Der Hohepriester war der höchste Priester im Judentum. Er allein durfte im Jerusalemer Tempel in das sogenannte „Allerheiligste“ hineingehen. Das war ein kleiner Raum, in dem einst die Bundeslade mit den zehn Geboten aufbewahrt wurde. Der Hohepriester allein durfte am Versöhnungstag, am Jom Kippur, in das Allerheiligste hineingehen, um alle Menschen des Volkes mit Gott zu versöhnen.

Im Hebräerbrief ist vom „Thron der Gnade“ die Rede. Dieser Gnadenthron ist eine Umschreibung für die Gegenwart Gottes im Himmel. Diese Gegenwart Gottes im Himmel hat ein Abbild in der Gegenwart Gottes auf Erden: Nämlich das Allerheiligste im Tempel, zu dem nur der Hohepriester gehen durfte. Die Bundeslade im Allerheiligsten bzw. der Altar, den sie dort darstellte, wurde ebenfalls als Gnadenthron bezeichnet.

Was der uns unbekannte Autor des Hebräerbriefes hier also sagt, ist: Dank Jesus Christus können und dürfen wir direkt vor Gott kommen. Wir selbst, so, wie wir sind. Auch wenn wir selbst ganz und gar unheilig sind, können wir vor das Allerheiligste treten – und zwar freimütig: „Lasst uns freimütig hinzutreten zum Thron der Gnade.“

Wir heißen nun selbst Christinnen und Christen, weil wir, wie der Hohepriester Christus, selbst vor den Thron der Gnade treten dürfen. Wir dürfen selbst Gottes Gegenwart in der Welt erfahren und ihn im Allerheiligsten erleben. Wo uns Schuld belastet, können wir direkt zu Gott kommen. Wenn wir feststellen, dass wir uns von Gott getrennt haben im Leben, können wir wieder zu Gott kommen und von ihm Barmherzigkeit, Gnade und Hilfe erfahren. Martin Luther nannte das das „Priestertum aller Gläubigen“. Niemandem ist der Weg zu Gottes Gegenwart verwehrt, jeder und jede kann sich Ihm im Glauben nähern, wie einst nur der Hohepriester.

Wir leben hier nun als Gemeinde in der Welt. Kirche und Gemeinde können und sollten nun der Ort sein, an dem Gottes Nähe zu den Menschen gespürt und erfahren wird. Wir sind ja alles Menschen, die von Gott Barmherzigkeit, Gnade und Hilfe erfahren durften. Wer in unsere Gemeinde kommt, darf das mitbekommen: Unsere Freude, unsere Freiheit und unsere Dankbarkeit darüber.

In der Gemeinde ehrenamtlich tätig zu sein, das bedeutet vor allem das: Diese Freude, Freiheit und Dankbarkeit nach draußen zu tragen in diese Welt; sie mit allem, was wir in unserer Gemeinde haben, zu bezeugen. Ein verstopfter Brunnen kann nun mal nicht so gut vor Freude sprudeln, ein verwildertes Beet lädt nicht unbedingt ein, zum Gnadenthron zu kommen und ein nicht verteilter Gemeindebrief kann nicht von unserer Hoffnung erzählen.

Wem ist also zu danken? Ihr dürft auf jeden Fall einander danken, dass jede und jeder mit dem, was er kann und empfangen hat, seine und ihre Freude der Nähe Gottes spürbar werden lässt. Ich weiß, dass das nicht immer nur freudig zugeht. Ehrenamt kann anstrengend sein. Nachtschichten im Gemeindekirchenrat oder beim Erstellen des Gemeindebriefes, schmerzende Rücken beim Schleppen von Laubsäcken oder Möbeln, noch weniger Zeit neben einem bereits vollen Arbeits- und Familienalltag … nein, sich freiwillig und ehrenamtlich in der Gemeinde zu engagieren, ist nicht immer mit Freude verbunden.

Ihr aber macht trotzdem mit. Mir zeigt das, dass diese Gemeinde eure Gemeinde ist und das diese Kirche eure Kirche ist. Nicht meine, nicht die von einzelnen Personen, nicht die des Gemeindekirchenrates, sondern die von euch allen, die ihr euch trotz aller Umstände in und an der Gemeinde beteiligt. Es freut mich sehr, das zu sehen. Ich hoffe und bete, dass das so bleibt.

Eine Sache sollte noch erwähnt werden. Vielleicht erscheint das Wort „Ehrenamt“ dem einen oder der anderen als viel zu groß, um das zu beschreiben, was ihr hier macht. Was ihr hier macht, macht ihr doch nur deswegen, weil es euch Freude macht, weil ihr es gerne macht, weil es für euch selbstverständlich ist. Das sei doch kein „Amt“! So darf und so soll es selbstverständlich auch sein. Ich verwende dieses Wort vor allem deshalb, weil es von den meisten verstanden wird. Nicht bloß das Amt, sondern vor allem der freiwillige Dienst ist Dankes wert.

Einem aber ist noch zu danken. Natürlich. Gott ist zu danken. Er ist es, der unsere Gemeinde in Jesus Christus leitet, noch vor dem Gemeindekirchenrat. Er ist es, der Menschen hierher führt. Er ist es, der durch den Heiligen Geist die Gaben gibt, die es in unserer Gemeinde braucht. Und schließlich ist er es, zu dem wir in der Gemeinschaft unserer Gemeinde treten können; zum Thron der Gnade. Gott sei Dank.

Amen