Predigt von Pfarrer Christopher Piotrowski am 24.12.2018 zur Weihnachtsgeschichte Lukas 2,1-20.
Liebe Brüder, liebe Schwestern,
heute ist Heiligabend und damit der christliche Feiertag des Jahres, an dem es ganz besonders um die Antwort auf eine Frage geht: Wer oder was ist eigentlich Gott? Es scheint heute ein eher spezielles Interesse zu sein, darüber nachzudenken, wer oder was Gott ist. Im Alltag begegnet einem dieser Gedanke wohl weniger.
Und doch hat sich rund um die christliche Antwort auf die Frage „Wer oder was ist Gott?“ ein Fest herausgebildet. Das für viele Menschen aufwendigste und wichtigste Fest im ganzen Jahr: Weihnachten. Ein Fest der Familie. Ein Fest der Liebe. Ein Fest der Geschenke. Ein Fest des Lichterglanzes. Ein Fest des Essens. Ein Fest, an dem alles etwas anders sein soll als den ganzen Rest des Jahres.
Und auch, wer mit dem Glauben an Gott oder mit der Kirche nicht viel anfangen kann, spürt in der Weihnachtszeit eine Veränderung. Weihnachten fühlt sich anders an als der Rest des Jahres. Wenn um einen herum gefeiert wird, kann man sich dem kaum entziehen.
Das Weihnachtsfest ist eine sehr vielschichtige Antwort auf die Frage, wer Gott ist. Es gibt Fragen, die mit einem Wort oder einem Satz beantwortet werden können. Doch die Frage: „Wer ist Gott?“, ist kein Rätsel, für das es eine Lösung gibt, auf die man mit viel Nachdenken kommen könnte. Sie ist auch keine Quizfrage, auf die man aus dem christlichen Glauben heraus mit „Vater, Sohn und Heiliger Geist“ antworten könnte – und damit irgendwas gewonnen wäre.
Es ist eine beliebte Aufgabe im Religionsunterricht und manchmal auf im Konfirmandenunterricht, die Kinder und Jugendlichen ihre Vorstellung von Gott malen zu lassen. In Studien wurde untersucht, was Kinder und Jugendliche dabei eigentlich malen, wenn sie dazu aufgefordert werden (PDF). Bei jüngeren Kindern kommen meistens menschliche heraus. Manche haben einen Bart, denn Gott ist alt und weise – und auf jeden Fall ein Mann. So viel haben sie von dem, was ihnen von Gott erzählt wurde, schon aufgenommen. Im Lauf des Lebens verändern sich die Bilder meistens.
Ältere Kinder beginnen, Gott abstrakter darzustellen – als Lichtgestalt vielleicht, als Farbmuster oder auch symbolisch als Hirte. Manche beginnen, ihren Bildern Symbole beizugeben, z.B. ein Dreieck für die Dreieinigkeit, Königsinsignien. Andere malen metaphorische Bilder: Gott ist wie das Meer oder wie ein Baum. Bemerkenswert ist dabei: So entwickeln sich Kinder nur dann, wenn sie Religionsunterricht hatten oder sich anderweitig mit dem Glauben auseinandergesetzt haben. Kinder, die sich nicht mit ihrem Glauben beschäftigten, blieben oft dabei, Gott als Menschen zu malen, meist alte Männer mit Bart.
Daraus hat man geschlossen, dass ein Gottesbild und damit der Glaube abstrakter werden, je reifer ein Gottesbild bzw. der Glaube ist. Ich höre und lese es selbst oft, wenn Menschen nach ihrem Glauben gefragt werden. Sie beschreiben dann eine bestimmte Art zu fühlen – Getragenheit oder Geborgenheit oder eine Macht, die sie umfängt. Ganz abstrakte Bilder, die wahrscheinlich auf einen differenzierten und reflektierten Glauben schließen lassen.
Nun, wisst ihr, was ihr malen würdet? Bekannterweise lautete die christliche Antwort darauf, wer oder was Gott ist: Gott ist Mensch geworden in Jesus Christus. Ein Satz, der so oder so ähnlich in kaum einer Weihnachtspredigt fehlt. Doch dieser Satz ist kein Bild. Es ist ein Satz aus der christlichen Lehre. Ein Bild aber ist etwas, was ein Empfinden auslöst, etwas bewirkt. Ein Lehrsatz kann höchstens der Rahmen eines Bildes sein. Das ist ein Bild, das uns mit der Bibel überliefert ist. In ganz besonderer Weise wird es uns von Lukas vor Augen gestellt.
Denn auch mit den Texten der Bibel sind uns Bilder von Gott überliefert worden – Sprachbilder. Eines dieser großen Sprachbilder ist die Erzählung von der Geburt Jesu. Es ist eine historische Szene, eingebettet in die Weltpolitik des römischen Reiches. Lukas malt ein Familienporträt mit Josef, Maria und dem Kind im Futtertrog. Er zeichnet uns die sozialen Umstände auf, in denen Jesus in die Welt kommt – im Stall, besucht von den Hirten. Und er malt die Göttlichkeit und Herrlichkeit Jesu hinein – mit den Engeln, die seine Geburt verkündigen.
Lukas, der Gott aufzeigen will, schreibt von einem Menschen. So konkret. Nicht von einer Macht, nicht von einem Licht, nicht von einem Gefühl – wenn Lukas von Gott schreibt, schreibt er von einem Menschen. Er schreibt von einem historischen Menschen zur Zeit des Kaisers Augustus. Er schreibt, wenn er von Gott schreibt, von einem historischen Menschen, der geboren wird unter erbärmlichen Umständen in einem Stall. Wenn Lukas von Gott schreibt, schreibt er von einem neugeborenen Kind, das in einer Futterkrippe liegt.
Das sind die Farben, die Formen und die Struktur des Gottes-Bildes von Lukas. Das ist das Bild, das Lukas uns zu Weihnachten vor Augen stellt vom Kommen Gottes auf diese Erde. Ganz konkret und ganz unsymbolisch. Verletzlich und angreifbar – nicht nur das Kind, sondern auch dieser Glaube, konkret wie er ist. Wie passt dieses konkrete Bild von Gott, der als Mensch in diese Welt kommt, zusammen mit der Überlegung, wer erwachsen glaubt, der hat ein abstraktes Bild von Gott?
Die Frage nach dem Glauben und nach dem Gottesbild ist in meinen Augen eine sehr persönliche Frage. Diese Frage ist deswegen sehr persönlich, weil sie die ganze Persönlichkeit betrifft. Ich habe oft den Eindruck, wer nach Gott fragt, möchte eigentlich wissen: Wie bringst Du all das, was man von Gott behauptet – seine Allmacht, seine Allwissenheit, sein Schöpfersein und sein Königtum – in Deiner Vorstellung unter?
Und ja, liebe Brüder und Schwestern, das ist eine große Überforderung. Kleine Kinder können Allmacht, Allwissenheit, Schöpfersein und Königtum, Dreieinigkeit und was es nicht noch alles gibt, in einem Bild von einem alten Mann mit Bart unterbringen. Wer aber lange darüber nachdenkt, kann das irgendwann nicht mehr. Es ist kein Wunder, dass sich das, was von Gott gesagt wird, in abstrakten Farben, Formen und Gefühlen auflöst.
Es scheint, als Gebe sich Lukas gar nicht die Mühe, all diese Lehraussagen in seinem Bild unterzubringen. Vielmehr widerspricht sein Bild von Gott ganz offen dem, was von Gott behauptet wird: Ein Neugeborenes in der Krippe entspricht nicht dem, was wir unter Allmacht verstehen. Es ist kein souveräner König, sondern es ist angewiesen, von seinen Eltern versorgt zu werden. Es ist auch nicht allwissend, sondern ein Neugeborenes kennt nur sich selbst und seine Mutter.
Das sind Farbe, Form und Struktur des Bildes von Jesus in der Krippe. Welche Wirkung aber hat dieses Bild, das Lukas von Gott malt? Die Wirkung eines Bildes, das sind Gefühle. Ob es sich um das Gekritzel eines Kindes für seine Eltern handelt oder um ein barockes Porträt. Ob eine Karikatur in der Zeitung oder ein Graffito – wer ein Bild betrachtet, auf den wirkt es. Und die Wirkung hängt nicht nur von dem Bild selbst ab, sondern auch von dem Betrachter. Können wir uns darauf einlassen, im Kind in der Krippe Gott zu sehen? Was heißt es für uns, in diesem Kind Gott zu sehen? Wenn ich Gott malen sollte, wäre das Kind in der Krippe ein Teil dieses Bildes?Was mit diesem weihnachtlichen Bild deutlich werden kann: Gott ist nicht der, von dem uns alles Mögliche gesagt wird. Gott ist nicht der Rahmen, in den die Kirchenväter und -mütter im Lauf der Kirchengeschichte das Bild von Jesus in der Krippe gehängt haben. Gott entspricht nicht unserer Vorstellung von Macht und Wissen, Dreieinigkeit und Königtum, wenn wir davon überhaupt Vorstellungen haben.
Gott ist ja dafür Mensch geworden: Dass wir ihn begreifen können als Mensch unter Menschen. Er ist dafür Kind geworden: Dass wir ihn lieben können. Dafür ist er uns nahe gekommen: Nicht, dass er als ferner Gott verehrt wird, sondern dass wir ihn als unseren Gott annehmen können, wie er sich gezeigt hat. Das Kind in der Krippe definiert, was Macht ist. Das Kind definiert, was Weisheit ist. Das Kind definiert, was Dreieinigkeit ist. Die Frage „Wer oder was ist Gott?“ ist kein Rätsel und keine Quizfrage. Sie verweist auf ein Geheimnis.
Weihnachten ist jedes Jahr der neue und unermüdliche Versuch Gottes, uns Menschen dieses Geheimnis anzuvertrauen: Das Geheimnis der Freude der Engel und Hirten zugleich und das Geheimnis des Friedens, den die Propheten verkündigen. Das geht nun mal nur mit diesem sehr konkreten Bild von Jesu Geburt, das in der Mitte des großen Bildes von Gottes Geheimnis steht.
Wir können uns darum bemühen, Weihnachten so zu feiern, dass es der Wirkung dieses großen Bildes auf uns entspricht: Das Kind in diesem Bild zu lieben. Die Macht, die sich darin zeigt, als wahre Macht anzunehmen, die in der Welt vor Gott gilt. Es ist die Macht der Liebe. Das Kind in der Krippe zeigt uns, dass auch wir diese Macht haben und danach leben können. Wir können das Kind lieben – wir können einander lieben.
Amen.