Predigt am Sonntag Septuagesimae 2014
Text: Exodus 3,1-10
Thema: Der Dornbusch brennt noch heute.
Liebe Gemeinde!
1. Der Busch wird noch heute gezeigt
Vielleicht haben Sie irgendwann einmal Ägypten besucht, und vielleicht haben Sie auch ein Abstecher zum Sinai unternommen und vielleicht waren Sie sogar unter denen, die den beschwerlichen nächtlichen Aufstieg zum Moseberg auf sich nahmen, den Berg, auf dem Mose die 10 Gebote Gottes entgegengenommen haben soll, ein heiliger Ort für Juden und Christen. Wenn man sich nach dem Erleben eines zauberhaften Sonnenaufgangs wieder auf den steilen Abstieg begibt, sieht man weit unter sich am Fuß des gewaltigen Felsenmassivs, mitten in unwirtlicher Stein- und Sandwüste das Katharinenkloster, eines der ältesten Klöster der Christenheit. Dieses Kloster birgt ein Geheimnis. Hinter einer Mauer, den Blicken der Besucher entzogen, wird ein weitverzweigter Busch gezeigt, von einer unterirdischen Quelle gespeist. Es ist, so wird gesagt, jener Busch, der brennend, aber nicht verbrennend, einst Mose den Weg zur Begegnung mit Gott wies, so wie es in unserem heutigen Predigttext erzählt wird.
2. Rund um den Busch ist heiliges Land.
Damals, so erzählt die Geschichte, erweckte dieser Busch die Aufmerksamkeit eines jungen Hebräers mit Namen Mose. Er war als politischer Flüchtling, heute würden wir sagen: als Asylbewerber, in das Land der Midianiter gekommen und hatte bei einem Einheimischen Asyl und Arbeit gefunden. Das ist übrigens ein Zug der Geschichte, der bisher kaum beachtet wurde. Israels Geschichte beginnt mit einem Flüchtling, und gerade diesem Flüchtling gilt die Aufmerksamkeit Gottes, die er mit dem brennenden Dornbusch erregt. Israel hingegen hat diesen Vorgang nie vergessen. Als es Heimat gefunden hatte im gelobten Lande, dachte es an die Flüchtlinge, die nun zu ihm kamen, und schützte sie in bisher nie gekannter Weise. „Du sollst den Fremden, bedrücken“, heißt es im sog. Heiligkeitsgesetz, und als Begründung wird darauf verwiesen: „Ihr seid selbst Flüchtlinge gewesen in Ägyptenland!“ Der Dornbusch brennt also noch immer! Brennt er auch bei uns, und brennt er für die, die wie einst Mose, fliehen, um ihr Leben zu retten?
Der brennende Dornbusch wird für Mose — und hoffentlich auch für uns — zu einem Denkmal im ursprünglichen Sinn des Wortes: Er erregt Aufmerksamkeit, er lädt zum Nachdenken ein. Man muß sich ihm nähern, wie es einst Mose tat: unvoreingenommen und ein wenig neugierig. Dann kann man wie einst Mose eine Stimme vernehmen, eine Stimme, die ihn beim Namen ruft. Noch weiß er nicht, wer ihn da ruft. Aber er fühlt: ich kann, ich darf mich dieser Stimme nicht entziehen! Ähnlich wie ihm ist es vielen ergangen, die sich plötzlich herausgefordert sahen von einer Sache, von einem Menschenschicksal, das sie nicht mehr losließ. Der Dornbusch brennt noch immer!
Und als sich Mose diesem Ruf stellt, wird das Land, auf dem er steht, bisher wertloser Wüstensand, zum heiligen Land. Für viele, die heute diesen Ort besuchen, ist er es noch immer. Er erinnert dar an, daß Gott sich in unserer Welt bemerkbar macht, daß ganz unerwartet, mitten im Alltag, mitten in einer angespannten Lebens- . situation, der sonst so unergründlich ferne Gott, uns nahe kommt, daß eine andere Welt in die unsere einbricht und dadurch das Alltägliche, das· Unscheinbare zum heiligen Ort wird, an dem er uns begegnet. Nicht nur 1’4ose hatte dieses Erlebnis. Vielleicht haben auch wir es schon in unserem Leben verspürt, daß in einer plötzlichen Begegnung, in einem einfach so dahingesprochenen Satz, in einem für andere garnicht so besonderem Ereignis einem plötzlich klar wird: hier war Gott am Werke, hier bin ich ihm begegnet. Und so kann jederzeit jeder Ort, sei er noch so trivial, zu einem heiligen Ort werden, an dem mir Gott begegnet. Der Dornbusch brennt noch immer und . noch immer ruft Gott 111enschen in seinen Bann und Dienst. Der Dornbusch hat tausend Gestalten. „Zieh deine Schuhe aus, denn das Land, auf dem du stehst, ist heiliges Land!“, sagt Gott. Gott wünscht nicht nur, daß man ihn wahrnimmt, sondern auch, daß man ihn respektiert. Wir brauchen auch heute Drte und Formen, wo wir uns dem Göttlichen, dem Heiligen, .aussetzen können, dem, was nicht von dieser Welt ist, und doch in unsere Welt hineingehört, weil es sie hoffnungsvoller, menschlicher und liebenswerter macht. Wir nennen das heute Spiritualität, Gott als das verborgene und doch plötzlich aufleuchtende Geheimnis unserer Welt zu respektieren. Auch in diesem Sinne brennt der Dornbusch noch immer.
3. Gott stellt sich vor
Und dann stellt Gott sich vor: Ich bin der Gott Abrahams, der Gott deiner Väter, der. auch dein Gott sein will. Gott ist kein Gott von oben herab. Er spüren. Er spricht ihn läßt Mose seine Überlegenheit nicht an wie einen guten Bekannten. Da ertönt aus dem Busch nicht die Stimme eines Befehlshabers, der Angst macht, sondern die Stimme eines guten Vaters, der seinem Sohn Mut macht, eine Aufgabe zu übernehmen. Nicht nur Gott will respektiert werden, er respektiert auch uns, unsere Eigenart und unsere Freiheit. Er mutet uns nicht mehr zu, als wir können, aber er mutet uns zu, das, was wir können, auch zu tun.
4. Gott ruft zur Befreiung
Und so kommt es zum Höhepunkt dieser Begegnung zwischen Mose und Gott. Er läßt Mose teilhaben an seinem Leid über das Leid der Menschen. „Ich habe das Schreien meines Volkes gehört“! Das aber hatten die Israeliten bisher vermißt. Ungehindert schlugen die Peitschen der Aufseher auf sie ein und ihr Schreien verhallte im Nichts. Immer wieder wird Gott gefragt: Wo warst du, Gott, als Kriege tobten und Millionen ins Verderben rissen, wo warst du. bei einer schweren Krankheit oder wenn Unglück plötzlich herein brach? Gott antwortet in der Regel nicht auf solche Warum-Fragen. Er ist nicht immer nur der nahe, sondern manchmal auch der ferne Gott, nicht nur der Liebende, sondern manchmal auch der Zürnende. Alles hat seine Zeit, sein Schweigen und sein Handeln. Aber immer ist Gottes Nähe stärker als sein Fernsein, seine Liebe überwiegt seinen Zorn bei weitem. Davon kündet in unserer Geschichte der brenende Dornbusch auch, aus dem es tönt: „Ich habe das Leiden meines Volkes gesehen, habe sein Schreien gehört und will ihm zur Hilfe kommen!“ Deshalb brennt dieser Busch ohne zu verbrennen und ruft damit Mose herbei. Gott will dem Schreien und dem Leiden seines Volkes ein Ende machen, und Mose soll ihm dabei helfen. Er soll das Volk herausführen aus dem Sklavenhaus. Gott sucht Menschen wie einst den Mose, die leiden an Ungerechtigkeit, an Hartherzigkeit und Gleichgültigkeit, Leute, die sensibel sind für das laute und leise Schreien der Menschen, für das stumme Leiden der geschundenen Tiere oder für das Leiden unserer Umwelt unter der Profitgier. „Ich habe das Leiden der Menschen gesehen, nicht nur der Israeliten damals, sondern auch in unserer Welt.“ Auch dafür steht der Dornbusch, auch dafür brennt er noch heute!
Und Gott sucht auch heute Menschen, die seinen Ruf hören und sich auf ihn einlassen, die wie einst Mose ihre sichere Zuflucht wieder aufgeben und Mühen und Gefahren auf sich nehmen, um sich an Gottes. befreiendem Handeln zu beteiligen. Denn Gott will keine Versklavung des Menschen durch Menschen, nicht nur die seines Volkes, sondern überhaupt keines Menschen aut Erden. Deshalb mutet er Mose zu, dem Pharao und all den neuen Pharaos dieser Erde Widerstand zu leisten, ihnen zuzurufen: laßt sie in Frieden und in Freiheit ziehen! Auch das ruft der brennende Dornbusch weiter durch die Zeiten!
Was in ihm brennt, ist die Liebe, deren Urquell Gott ist. Weil sie nicht aufhört, brennt der Busch auch ohne zu verbrennen. Heute leuchtet er mit seinem Brennen viele Baustellen aus, auf denen wir als Christinnen gefordert sind: die Unrechtsproblematik, die Frage der Gerechtigkeit und der Menschenrechte und nicht zuletzt auch die Problematik der Flüchtlinge, eine der großen Herausforderungen dieser Zeit, und damit auch ftir uns. Es war sicher kein Zufall, daß Gott sich in der Gestalt des Mose gerade an einen Flüchtling wandte. Sein Schreien hatte er als erstes erhört unter den vielen anderen Schreien seines Volkes, weil sie auf Hilfe besonders angewiesen sind. Auch deshalb brennt der Dornbusch noch immer, der nach Mittätern bei Gottes helfendem und befreienden Tun ruft. Gebe Gott, daß unsere Gemeinden, daß wir diesen Ruf an uns heranlassen wie einst der Mose, daß wir antworten wie es in einem unierer neuen Kirchenlieder heißt:
Cool sein, aber nicht kalt: Stark sein ohne Gewalt. In sein, jedoch unverstellt. Schlicht sein, aber nicht dumm. Soft sein, aber nicht stumm. Ich sein, wohin Gott mich stellt.
Amen.
Pfarrer i.R. Dieter Ziebarth