Predigt am Israelsonntag – Christian Staffa

Predigt zum Israelsonntag in der Weinberggemeinde, Laurentiuskirche 28.August 2011


Siehe, ich lehre euch die Bestimmungen und Rechtssätze, wie sie der

Lebendige, mein Gott, mir geboten hat. Handelt nach ihnen dort im Lande,

in das ihr zieht, es in Besitz zu nehmen. So haltet sie nun und vollzieht sie.

Durch sie wird eure Weisheit und Einsicht erkennbar in den Augen der Völker;

wenn  diese Rechtssätze wahrnehmen. Sie werden sagen: Einzigartig! Was für ein kluges, einsichtiges und großes Volk!

Ja, welch großes Volk hat Gottheiten, die in seiner Mitte sind, wie der

Lebendige, unser Gott, uns nahe ist, in allem, jederzeit, wenn wir zu ihm rufen!

Welch großes Volk hat solche gerechten Bestimmungen und Rechtssätze wie

diese ganze Tora, welche ich euch heute übergebe?

Doch sei achtsam, bewahre sorgfältig dein Leben, damit du nicht vergisst, was

Augen gesehen haben; lass es dir Zeit deines Lebens nicht aus dem Sinn kommen!

 

WO ist eigentlich das Problem?‘
Jesus ist nicht gekommen, das Gesetz außer Kraft zu setzen, sondern es zu erfüllen (Mt 5, 17). Alles was die Pharisäer euch sagen halet und tu (Mt 23,2f) Das Gericht, vor dem nicht mehr so vielen Menschen – oberflächlich betrachtet – bange ist, ergeht nach Werken. Das lehren nicht nur Matthäus (25,31) und der von Luther ungeliebte Jakobus (1,25ff,2,13f), sondern auch Lukas(10,28) und nun doch eben auch der Kronzeuge der Rechtfertigungslehre Luthers Paulus: Röm 2,6 er wird jedem vergelten, wie es sein Taten verdienen.
Das höchste Gebot ist bei Markus in der von uns gehörten Stelle, die ganz klassisch im Sinne jüdischer Torah Auslegung: Höre Israel dein Gott ist einer und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Das ist die Essenz der Gesetze vom Sinai. Denn wie sagt Paulus, die Gebote: du sollst nicht ehebrechen, niemanden töten, nicht stehlen, nicht gieren usw. sind in diesem einen Satz zusammengefasst: Liebe deinen nächsten wie dich selbst. Die Fülle der Torah ist die Liebe. Also ist die Torah, sind hier die Gebote, ist das Gesetz  auch im jesuanischen Denken wie bei Paulus auch für uns Christen zentral.

Warum haben wir das vergessen? Woher speist sich unsere Abwehr, unser Widerstand, unsere Feindschaft gegenüber dem Gesetz Israels und damit gegenüber dem Volk Israel?

Ich sage bewusst unsere, denn wir können uns so leicht von den ungeliebten auch gewaltförmigen Traditionen und auch gegenwärtigen judenfeindlichen Haltungen nicht lossagen, wenn wir deren Basis bleibend und zu Recht als tragend für unseren Glauben behaupten.

Warum tritt genau das nicht ein, was Mose hier seinem Volk verheißt? Dass nämlich die Völker Israel wegen zweierlei Dingen bewundern werden nämlich wegen der gerechten Bestimmungen und Rechtssätze und der Nähe Gottes zu seinem Volk.

Das Gegenteil ist schmerzhaft wahr geworden: Israel wurde verhöhnt und verlacht für seine Beziehung zu Gott und seinen sehr unterschiedlichen Versuchen der Aufforderung, das Leben durch das Befolgen der Gebote zu bewahren. 

 

Haben wir vielleicht ein Problem mit Gesetzen überhaupt?
Nun wenn wir uns umsehen in der Geschichte, dann gibt es ja nicht soviele Kulturen in der Welt, wie gerade die deutsche, die sich als sehr gebotstreu verstehen. Der Spruch von Lenin, dass die Deutschen sich erst eine Bahnsteigkarte kaufen, wenn der Zug der Revolution losfahren will, steht doch für eine gewisse Liebe unserer Ahnen zum Befolgen staatlicher Gesetze und Vorschriften. Beispiele davon sind ja Legion auch heute: die vielen Schilder auf unseren Straßen, die Verbotsschilder für spielende Kinder oder das  Herumliegen auf Parkwiesen, sie weisen nicht auf eine grundlegende Abwehr gegen Ver- und Gebote zur Regelung menschlichen Lebens, sondern eher auf das Gegenteil: eine  gewisse fanatische Angewiesenheit auf solche Regeln, wohl am liebsten bezogen auf den oder die anderen. Auch religiöse Verbote sind uns nicht fremd, wer je das weiße Band sah, dieser Film der die unglaublich hilflose und gleichzeitig gewaltförmige Moralität in Sachen Körperlichkeit einer protestantischen Familie des 19 Jahrhunderts gesehen hat weiß davon. (Diese Schilder oder moralischen Verbote beziehen ihre Kraft ja leider daher, dass sie Dinge verbieten, die mensch eigentlich gerne selber tut , aber nach irgendwelchem Kodex nicht darf. Verbote also die man sich selbst auferlegt, die dann gefälligst die anderen auch zu befolgen haben.)

 

Dagegen wurde zu Recht Widerstand geleistet und es hat sich daran einiges geändert. .

Aber es ist doch festzuhalten, dass es Zeiten gab, in denen moralische Gebote im Protestantismus hoch im Kurs standen, und gleichzeitig die Ablehnung des Gesetzes Israels gnadenlos durchgehalten wurde. Adolf von Harnack, der große liberal protestantische Kirchengeschichtler des 19. Jahrhunderts schreibt in seinem Wesen des Christentums zutiefst davon überzeugt, dass der riesige Fortschritt der lutherischen Reformation allein in Luthers Rechtfertigungslehre: Allein aus Gnade, allein aus Glaube werden wir gerecht, besteht. Dass sie die geistige, geistliche Errungenschaft des Protestantismus sei, gerade eben weil sie vergeistigt und sich löst von der schnöden Welt des Tuns und überführt in die Welt des Ideellen und Göttlichen. Franz Rosenzweig der jüdische Philosoph versuchte eine Chance der direkten Auseinandersetzung mit ihm zu bekommen, sie wurde ihm verwehrt. Zu niedrig und unwichtig ist das Gesetz, der Gott Israels  aus der Perspektive des arrivierten dann 1914 kriegsbegeisterten Harnacks, auf den wir Völker doch nach Mose mit Bewunderung schauen sollten.

Ja die Völker sollen und werden nach Moses Zukunftsschau nicht nur Israel dafür bewundern, sondern auch dafür, wie nah ihnen Gott ist. Der Zusammenhang dieser Nähe mit dem Versuch durch gerechte Rechtssätze der Gerechtigkeit Gottes Raum und Leben zu geben, ist ihm mehr als deutlich. Gott ist in den Geboten nah, weil sie Orientierung geben, wo er abwesend ist. Sie geben immer wieder an, wie unsere Wirklichkeit zu verstehen ist und wie wir uns in ihr bewegen können vom unsichtbaren Gott geleitet.

 

„Das Versagen von Christen und Kirchen angesichts der Entrechtung und

Vernichtung des europäischen Judentums hängt zutiefst mit einem Verständnis

des Evangeliums zusammen, das es von der ethischen Tradition

des Alten Testaments, also von der Tora, losgelöst hat. Deshalb führt die

Frage nach den ethischen Konsequenzen des Holocaust zu den zentralen

biblischen und vor allem alttestamentlichen Grundthemen zurück, die in

unserer theologischen Tradition lange Zeit und vielfach noch heute beiseitegeschoben,

verdrängt, tabuisiert und diffamiert wurden.“3

 

So ist die Shoah auch eine Folge unserer Torahvergessenheit. Aber immer noch bleibt die Frage, wo ist der Grund? Warum sind wir in unserer Tradition so in Konkurrenz zu der Erwähltheit des Jüdischen Volkes gegangen, deren Signum die Torah nun einmal ist?

Könnte es sein, dass wir in unserer Geschichte die Bewunderung nicht gespürt haben, weil wir uns als Dazugekommene verstanden haben? Als Gottgeliebte zweiter Klasse? Dass uns der Anspruch der Juden das auserwählte Volk zu sein heute noch an die Nerven geht? Ist dieses Genervt sein heute so säkularisiert wie wir sind, die letzte religiöse Aufwallung, dass wir wissen, dass der Protestantismus was ganz anderes ist als der gesetzliche und natürlich papale Katholizismus nud auch das gestrenge Judentum. Das sich auserwählt fühlt und irgendwie arrogant daherkommt?

 

Ich bin mir eben nicht ganz sicher, ob es solche Motive im Verhältnis zu der Tora, zu Israel heute  nicht auch noch gibt, vielleicht auch ein wenig verdrängt aber doch präsent. Wenn mensch z.B. sieht, wie krampfhaft die neutestamentliche Wissenschaft bleibend, davon lebt, sich vom Judentum abzusetzen, dann scheint mir eine solche hilflose Konkurrenz immer noch vorzuliegen. Die Ethisierung des Christentums ist vielen ein Gräuel, so zuletzt im Tagespiegel zu OStern ein führender EKD Mensch. Angeblich weil hier das menschliche Tun überbewertet, ja vielleicht sogar heilentscheidend werde. Aber so ist es ja schon im Judentum nicht. Auch dort ist die Erfüllung der Tora auf die Gnade Gottes angewiesen. Er nimmt den Menschen an, ob er sündigt oder nicht. Vor ihm ist die Gnade und hinter ihm die Barmherzigkeit.

 

Vielleicht sollten wir es einmal mit einem anderen Zugang probieren  „Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun und verstehen lernen.“ (Ex

24,7; s. o.) Uns Christinnen und Christen steht es gut an, von diesem Zugang  Israels zu lernen: tun und verstehen lernen,

ausprobieren und schmecken.

 

Mögen Sie Honig – süß und würzig zugleich? „Die Gebote des Herrn …sind süßer als Honig und Honigseim.“ (Ps 19,11)

Ein erstaunliches Bild!

Vielleicht bekommen wir einen – neuen und ungewohnten – Geschmack dafür, dass die Tora nicht einfach nur „Gesetz“, sondern ein sehnsüchtiger Liebesakt Gottes  ist. So also wie Gottes Gabe der Tora an Israel ein Akt der Liebe ist, ist  das Evangelium für die Völker – Anleitung zur Liebe:

Es geht eben ums Tun!

Gottes Gebote sind Hilfe im Alltag, Orientierung im Dschungel unserer Angst um uns selbst und im Machtgerangel der Interessen.

Gottes Gebote sind Trost angesichts von Gleichgültigkeit gegenüber großen und kleinen Ungerechtigkeiten in der Welt.

Gottes Gebote wenden unseren Blick und unser Herz und machen uns zu Anwälten der Fremden, Ohnmächtigen und Unterdrückten, zu Anwälten für die Freiheit.

 

Nun ist die Tora nicht uns Christen gegeben, aber wir haben Zugang zu ihr über unsern Herrn Jesus Christus um das Lob Gottes auf Erden zu mehren.

Auf dem Weg der Nachfolge begegnen wir unweigerlich der Torah als Wegweiser, als Zeichen der Sehnsucht Gottes nach einer gerechten und friedlichen Welt. Also lassen sie uns doch das Süße dieser Sehnsucht spüren. Wir sind nicht allein, unser Tun nicht vergeblich. Ja wir kommen zum Glauben nicht durch eigenes Verdienst, aber wir kommen auch zum Tun nicht durch eigenes Verdienst, sondern auch unser Tun ist ein Geschenk Gottes, aber es ist Tun, ein Handeln in Orientierung auf Gottes Handeln mit den Menschen. Das ließe sich doch tun und dann bedenken und wieder tun und dann bedenken, jeden Sonntag in der Gemeinde. Dazu hat uns die Tora des Geistes in Jesus Christus befreit und das heißt auch bei Paulus vom Tod.

Das könnte uns zu einer Haltung bringen, wie sie Adrian von Hammerstein seinem am 15. August verstorbenen Vater abgelauscht hat als dessen Erziehungskonzept. Hier können wir dann unterscheiden lernen zwischen lebensverhindernden und lebensfördernden Geboten, wie sie sich Menschen immer ausdenken werden, die wir mit den Geboten Gottes in ein kritisches Gespräch bringen wollen. „Ob aus Latten oder Draht, ob elektrisch oder mit Stacheln versehen, ob hoch oder niedrig – so ein Zaun ist und bleibt ein handfestes Symbol für das Establishment. Ihn zu überklettern, oder notfalls zu unterkriechen, gerät also zur pädagogischen Übung. Wenn dahinter auch noch Äpfel oder Kirschen, oder vielleicht auch ein schöner Sandstrand zu erwarten sind – umso besser.“  Mit diesen Worten will ich denken an einen großen Verfechter des gerechten Tuns, einen Freund Israels, einer der sich gewiss war, dass die Wurzel uns trägt, als Mann der ersten Stunde von ASF und als Initiator so vieler Versöhnungsinitiativen, denn das Ziel des Gesetzes ist Versöhnung und Frieden. Für diesen Menschen danken wir Gott.

Amen