Predigt 18.4.2010: 1. Petr. 2 — Michael Koesling

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Denn dazu seid ihr berufen, da auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußtapfen; er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand; der nicht widerschmähte, als er geschmäht wurde, nicht drohte, als er litt, er stellte es aber dem anheim, der gerecht richtet; der unsre Sünde selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden. Denn ihr wart wie die irrenden Schafe; aber ihr seid nun bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.

(1. Petr. 2, 21-25)

Liebe Gemeinde,

„bin ich Jesus?“ Wer heute so fragt, macht damit mehrerlei kund: Er ist es nicht, und er möchte auch nicht für Jesus gehalten werden. Dabei würde, wer je etwas über Jesus gehört und etwas von ihm verstanden hat, das sowieso nicht tun. Nicht nur, dass der historische Jesus, der Mensch Jesus fast zwei Jahrtausende tot ist; und nicht nur, dass der Fragesteller schon daher nicht mit Jesus verwechselt oder gleichgesetzt wird — und das ja auch nicht will; nein, er möchte nicht einmal bei veränderter, bei ergänzter Fragestellung: „Bin ich wie Jesus?“ die Antwort „Ja“ erhalten.
Dabei handelt es sich meistens, wenn diese ja recht flapsige Frage gestellt wird, um Situationen, in denen soziales Handeln erbeten ist. Wie sieht es denn aber erst aus, wenn wir als Christen in ganz andere Notlagen geraten, wenn in ganz anderen Bereichen unser Handeln als Nachfolger Christi gefragt ist?
Im 2. Kapitel des 1. Petrusbriefes, im Zusammenhang mit unserer Predigtstelle sind christliche Sklaven in den letzten Jahren und Jahrzehnten des ersten Jahrhunderts angesprochen. Da ist von Unterordnung und Ehrfurcht die Rede, auch gegenüber launenhaften, falschen, fehlerhaften Herren, davon, dass jeder, der sich in seinem Gewissen nach Gott richtet, Kränkungen erträgt und Unrecht erleidet. Das wird geradezu als Gnade bezeichnet. Denn was wäre es schon Besonderes, wegen eigener Vergehen Schläge und Strafen und Leiden zu erdulden …
Ein Grund dafür, warum nicht die ganze Sklavenproblematik Teil unseres heutigen Predigttextes ist, mag auch sein, dass ja nun politisch-gesellschaftlich-historisch die Zeiten der Sklaverei vorbei sind — wenn das zum Teil auch noch nicht so lange her ist, wie wir uns das wünschen würden. Dadurch verhindern wir außerdem, dass sich das Gewicht des Textes auf Ebenen verlagert, in denen wir uns womöglich nicht mehr betroffen fühlen. Oder sollten wir vielleicht doch ab und zu einmal nachdenken, wo wir uns inzwischen selbst zu Sklaven gemacht haben: Sklaven der Technik, Sklaven unserer Eltern oder unserer Kinder, Sklaven einer immer unvernünftiger werdenden Rekordsucht im Sport — Stichwort Doping — oder im Kaufrausch, Sklaven eines Schönheitswahns, Sklaven von Süchten?
In unserem Predigttext steht, in welche Schwierigkeiten Jesus geraten war und wie beispielhaft er sich verhalten hatte: Er hat gelitten, obwohl er keine Sünde begangen hatte. Er wurde geschmäht, beleidigte aber selbst niemanden mit Schmähreden. Er stieß keine Drohungen aus. Er hat die Sünden, die Schuld der Menschheit leibhaftig auf das Holz des Kreuzes getragen. Jegliches Handeln, jegliche Reaktion überließ Jesus seinem Vater, dem gerechten Richter.
Und wir? Gesungen haben wir ja auch schon das eine oder andere Mal: „Herr, du bist Richter, du nur kannst befreien, wenn du uns freisprichst, dann ist Freiheit da.“ Aber ansonsten? Nicht nur die Dinge des Alltags, auch die Dinge des Glaubens — oder das, was Sache des Glaubens sein sollte … — nehmen wir lieber selbst in die Hand. Wir sind Richter, wir wollen entscheiden, was richtig ist. Leiden, ertragen, abwarten und Tee trinken, dulden – das ist unsere Sache nicht. Das dauert uns zu lange. Da werden wir — ungeduldig.
Mit Leiden umgehen — da neigen wir zu extremen Reaktionen; sie so richtig ertragen — das können wir nicht. Entweder — um im Bild zu bleiben — sacken unsere Schultern zusammen, wir knicken ein und sind nur noch ein einziges Häuflein Elend. Allenfalls klagen wir an: „Herr, wie konntest du das zulassen: die Millionen Toten durch Krankheiten und Hunger? Sterben durch Attentate und Kriege? Schwere Naturkatastrophen in Haiti und in Island?“ Wir fragen: „Why me, Lord? — Warum ich, Herr?“ Und könnten in dem Zusammenhang eine — zugegeben hypothetische — Frage Gottes nie verstehen: „And why my son Jesus, people? — Und warum mein Sohn Jesus, ihr Leute?“
Oder die andere Reaktion. Rache. Gewalt erzeugt Gegengewalt. Vergeltung statt Vergebung. Und immer wollen wir alles allein schaffen.
Dabei ist uns doch im Predigttext durch Jesus verheißen, dass wir tot für die Sünden, lebend für die Gerechtigkeit seien. Geheilt sind wir durch seine Wunden. Und im letzten und damit an Psalm und Evangelium anschließenden Vers: Ihr hattet euch wie Schafe verirrt, jetzt aber seid ihr umgekehrt, heimgekehrt, be-kehrt zum Hirten und Hüter eurer Seelen.
Das heißt doch auf unseren Umgang mit Leiden übertragen: Wir brauchen als Herde, als Zusammen-herdung — auf lateinisch übrigens: Kongregation und auf englisch: congregation — nicht auszubüxen und in unserm Leid irgendwo umherzuirren. Wir brauchen uns aber auch als Schafe nicht wie eine wilde, aggressive Büffelherde vorzukommen, unserm Hirten und Hüter davonzustürmen und andere auf die Hörner zu nehmen. Gut aufgehoben sind wir wahrlich im Leiden wie im Leben — und wir müssen einsehen, dass Leiden zum Leben gehört — nur bei unserem Hirten und Hüter Jesus Christus.
Die Kirche hat schon früh ihre Aufgabe eingesehen. Dies erkennen wir, wenn wir „Hirte“ ins Lateinische und „Hüter“ ins Griechische übersetzen: Daraus werden dann „Pastor“ und episkopos gleich „Bischof“. Und das englische „congregation“ heißt auf deutsch „Gemeinde“. So erkennen wir die Möglichkeiten von Gemeinde — in Leid wie in Freud –, und die eigentliche und ursprüngliche Bestimmung von Pastor und Bischof werden auch deutlich.
Nein, auch wir sind nicht wie Jesus. Aber wir können, wir dürfen, wir wollen seinen Spuren folgen und so mit ihm auf einem gemeinsamen Weg sein. Da sind wir gerade im Leiden nicht allein.

Amen.

Diakon Michael Koesling