4.4.: Ostern — Michael Koesling

Liebe Gemeinde,

„Jawohl, das ist es!“, sprach ich zu mir selbst, als ich mich auf die Predigt vorbereitete und dabei schon die Epistel — den gleichzeitig vorgesehenen Predigttext aus dem 15. Kapitel des 1.Korintherbriefes — gelesen hatte: „Wenn ich mich dem Ostergeschehen so richtig nähern will“, dachte ich bei mir, „dann einmal nicht über die Brieftexte des ‘Chefideologen’ Paulus“ — wie ihn vor Jahren Radio Tyrus leicht flapsig, doch treffend kennzeichnete — „dann einmal nicht mit einer Abhandlung aus der griechischen Philosophenschule, die doch eher zu langanhaltenden Diskussionen als zu langer Freude verleitet.“ Die Überschrift zu Ostern muss doch mit unserem eben gehörten Lied lauten: Wir wollen alle fröhlich sein!

Oha: Habe ich da etwa in ein Wespennest gestochen? Kommt nicht vielleicht gerade bei den Erwachsenen die Aufforderung zu kollektiver Fröhlichkeit nur schwer an? Jedenfalls außerhalb des rheinischen Karnevals und ohne Alkohol?

Kinder haben da keine Schwierigkeiten: Immer und überall können sie rumtollen, können fröhlich sein, sind nicht zu bändigen. Ach ja — bändigen: Komisch, dass da Erwachsene Wörter verwenden, als gehe es um zu dressierende Tiere im Zirkus … Später dann im Teenie-Alter wird herumgealbert: Vor allem Mädchen tun sich da hervor … Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. Und oft nicht zu bremsen. Aber nachdenklich und durchaus selbstkritisch sei angemerkt: Auch hier setzen doch die Erwachsenen wieder die Normen — wann ist etwas unpassend? Für wen? Und: Wann muss gebremst werden: Wenn die Erwachsenen nervös, gestresst, gereizt reagieren? Wenn sie von Terminnöten gedrängt werden? Wenn sie — und sei es auch in bester pädagogischer Absicht — etwas erreichen wollen?

Immer wieder habe ich es früher in meinen Jugendkreisen gemerkt: Dann, wenn die Jugendlichen reifer, gesitteter, eben „erwachsener“ wurden, ja, dann war das für den Verlauf unserer Gespräche von „Nutzen“; die natürliche Fröhlichkeit, die Unbekümmertheit, jugendliche Ausgelassenheit indes — die waren dahin. Und manchmal habe ich das auch schon bedauert. Vielleicht hat Jesus auch das mit im Blick gehabt, als er sagte: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen!“

Wenn sich Erwachsene aber mal von den ungeschriebenen Normen, den dennoch bedrückenden Lasten des „Erwachsen-sein-Müssens“ befreien, wenn sie auch mal so ausgelassen sind, dann werden sie schnell als kindisch oder — mit überheblichem Fremdwort — als infantil bezeichnet.

Aber warum soll das eigentlich Ostern klappen, was Weihnachten schon danebengeht? Jeder will in dieser Zeit zu passenden wie unpassenden Momenten „Stille Nacht“ und im Gottesdienst „O du fröhliche“ singen. Aber wenn ich in die Gesichter der Kirchgänger blicke, dann ist da nichts mit fröhlich! Das Spektrum reicht da höchstens von „feierlich-angespannt“ bis „griesgrämig“. Dabei haben noch im frühen Mittelalter — so schrieb der Frankfurter Theologe Dieter Trautwein vor Jahren in einem Bildband — Bischöfe wie Johannes Chrysostomos als Vortänzer im Gottesdienst den Tanz der Freude angeführt. Auch heute noch ziehen afrikanische Christen tanzend in ihre Gottesdienste ein. Auch wer wie ich selber dem aktiven Tanz nicht so furchtbar viel abgewinnen kann, sollte sich doch daran erfreuen, wenn andere Christen wenigstens gelegentlich fern von Weihnachten und Ostern ihre ausgelassene Freude in Gottesdienste wie beim Weltgebetstag oder auch wieder beim Ökumenischen Kirchentag in München tragen.

Für den aber, der immer noch eingeschüchtert fragt: „Etwa immer fröhlich?“, für den intellektuellen Skeptiker hat unser Lied die tröstliche Eingrenzung bereit: „…fröhlich sein in dieser österlichen Zeit.“ Denn der offizielle Anlass — wer ihn zur Fröhlichkeit braucht … — ist Ostern, ist die Tatsache, dass Gott den Menschen das Heil, die Seligkeit, das ewige Leben gegeben hat.

Nichtkirchgänger würden ihrer Freude mit einem seit Fred Feuerstein bekannten lauten „Jappadappadu“ Ausdruck verleihen, wir stimmen von alters her ein fröhliches „Halleluja“–- lobet den Herrn! — an. Lobet den, der als Messias von Maria, von einem Menschen als Mensch zur Welt gebracht wurde! Lobet den, der — gerade noch am Kreuz gestorben und in Trauer von seiner Mutter beobachtet — zu Ostern auferstanden ist! Lobet ihn zu allen Zeiten!

Jesus Christus hat aus der Einbahnstraße zur Hölle einen breiten Highway gemacht, auf dem jetzt entgegengesetzte Hinweiszeichen gelten. Für alle, die zu ihm gehören, die an ihn glauben, gilt: Der Tod hat seinen Stachel des Endgültigen verloren. Er gilt für alle Zeiten nicht mehr. Jesus Christus ist als Allererster diesen Weg gegangen: Er hat das Tor zur Hölle, zum Tod zerstört und für den Rückweg freigemacht, dorthin, wohin er uns vorausgegangen ist: zum Vater, zu Gott! Was brauchen wir noch für Gründe zur Freude?

Ende des 14. Jahrhunderts war der Text der ersten Strophe in einem Zisterzienserinnenkloster in Medingen –- das liegt zwischen Uelzen und Lüneburg — entstanden. Knapp zwei Jahrhunderte später dichtete der Historiker und evangelische Theologe Cyriakus Spangenberg, dessen Vater als Theologe und Reformator ein Zeitgenosse Luthers war und der selbst noch Martin Luther in Wittenberg begegnet war, die weiteren Strophen. Er selbst war als Reformator der zweiten Generation in die heftigen Auseinandersetzungen über den weiteren Verlauf protestantischer Theologie geraten und wurde deshalb immer wieder verfolgt, musste mehrfach seinen Wohnort wechseln und verbrachte seine letzten Lebensjahre in Straßburg. Was war das also für eine aufregende, aber nicht unbedingt fröhliche Zeit, in der er lebte! Und dennoch: Wie hatte sich doch die Weltkarte in den letzten hundert Jahren mit immer mehr neu entdeckten Ländern gefüllt! Das alles musste er irgendwie in seinen Text aufnehmen: Den auferstandenen Gottessohn Jesus Christus lobt und preist der ganze Erdenkreis, den, der die Menschen wieder ins Paradies führt! Und das soll von nun an für immer so bleiben: die große Freude der gesamten Christenheit!

Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden: Halten Sie sich nicht zurück, lassen Sie auch nach dem Gottesdienst Ihre Mitmenschen etwas von Ihrer Freude darüber spüren! Auch wenn in unserer Zeit das Leben im Alltag wie zu Lebzeiten Spangenbergs nicht immer fröhlich ist: Sie werden hoffentlich merken: Von der gespendeten Freude kommt viel Freude wieder zu Ihnen zurück!
Amen.
Diakon Michael Koesling