Ein Klavier, ein Klavier…

200906201
Am 20. Juni 2009 wurde in der „Arche“ ein besonderes Geschenk überreicht und feierlich vorgestellt: Frau Anita Ruthenberg hat ihr Klavier für die Musikarbeit der Gemeinde gestiftet. Vor den großen und kleinen Musikanten, die an diesem Tag vorführten, welche wunderbaren Töne sich diesem Instrument entlocken lassen, hielt sie folgende Rede im Namen des Klaviers:

Ein Klavier, ein Klavier…

…stellt sich vor.

von

Anita Ruthenberg

„Nicht, dass ich mich in den Vordergrund drängen möchte, aber wenn ihr hier eine solch schöne Feierstunde abhaltet, wollt ihr vielleicht auch etwas über mich wissen?

Na dann.

Geboren wurde ich vor über 30 Jahren in deutschen Landen aus verschiedenen Hölzern. Das, was ihr außen seht, ist ein Furnier von einem Nussbaum, dessen Früchte ihr vielleicht zu Weihnachten auf Euren bunten Tellern habt. Außerdem bestehe ich aus Stahl, Messing ein bisschen Filz, Leim und …Luft, auf die ich später noch zu sprechen komme.
Die Leute die mich zusammenbauten und damit sozusagen geboren haben hießen „Zimmermann“. Das ist also mein Familienname und der steht auch da vorn, in goldenen Buchstaben an mir dran. Die „Zimmermänner“ gehören zu der Großfamilie der Bechsteine. Und die bauen Flügel, das sind ganz große Tastensinstrumente, die die Form von Flügeln haben.

Nun weiß ja jedes Kind, wo man sonst noch Flügel findet. Das steht auch in dem dicken Buch, aus dem sonntags in der Kirche immer vorgelesen wird, namens Bibel.
Richtig: von den Engeln, die haben nämlich genau solche Flügel.
Nun, Flügel habe ich keine und fliegen kann ich darum auch nicht, aber in mir ist auch die Luft, die so ein Tastenflügel umschließt, und darum bin ich so etwas wie ein einfacher Engel.

Aus den genannten Materialien zusammengebaut wurde ich mit Händen; und darum liebe ich Hände! Kleine und große Hände, zarte und kräftige Hände; Hände eben. Die kleinen sind mir jedoch die allerliebsten. Da versuche ich meine Tasten immer ein bisschen schmaler anzupassen, damit die Fingerchen auch überall drankommen.

Die Luft in mir ist meine Seele. Manche meinen zwar, dass nur die Menschen eine Seele hätten, aber die irren sich ja vielleicht?
Meine Seele ist dass, was ihr hört. Von kleinen Hämmern an langen Saiten geschlagene, schwingende Luft.
Und meine Seele ist ziemlich groß, nämlich so groß, so weit mein Ton reicht.

Du da in der letzten Reihe, kannst Du mich hören? Siehst Du so groß ist meine Seele und wenn ihr im Sommer die Türen der Arche offen stehen lassen könnt, dann kann ich mich noch weiter ausbreiten.
Nun denkt ihr vielleicht: „Über 30 Jahre, na dass ist ja schon reichlich alt“.

Das ist aber relativ.
Gemessen an dem durchschnittlichen Lebensalter unserer Art, die bei sorgsamer Behandlung, das Lebensalter eines Menschen sogar noch etwas überschreiten kann, bin ich sozusagen meinen Rüpeljahren gerade entwachsen, im besten Alter also um z. B. Kinder zu bekommen und sie auf ihrem Lebensweg zu begleiten.
Na nun schaut mal nicht so ungläubig. Auch so ich verstehe.
Ihr wisst natürlich noch nicht wie unsereins Kinder bekommt.

Wisst ihr, dass hängt mit der Luft in mir, meiner Seele, die ja auch was mit den Engeln zu tun hat, zusammen. So bekommt nämlich unsereins seine Kinder, vielleicht, wenn ihr versteht was ich meine.
Nachdem ich also zusammengebaut wurde verbrachte ich meine Babyjahre irgendwo, woran ich mich nicht mehr erinnern kann und will.
Jedenfalls landete ich so 1980, als ich also ca. 20 Jahre alt war, in einem Klaviergeschäft.
In einem von mehreren riesengroßen Räumen stand ich einige Zeit, Rücken an Rücken und Schulter an Schulter mit anderen Klavieren zusammen.
Wir warteten und warteten und nichts passierte. Keiner berührte uns, keiner liebte uns.
Ihr könnt euch das vielleicht so vorstellen, wie wenn Kinder in einem Waisenhaus dastehen, die nirgends hingehören, keiner will sie und dann stehen sie da und warten, dass jemand kommt, der sie mit nach Hause nimmt und ihnen eine Familie gibt. Einen Platz zum Glücklichsein.
Und auf einmal ging die Tür auf und eine Familie kam herein. Sie brachten noch einen jungen Mann mit, der meinte er verstünde etwas von uns. Er spielte mal auf diesem, mal auf jenem Klavier eine kleine Melodei.
Ich war total aufgeregt und bekam dolles Herzklopfen, als die Familie immer näher kam ohne anscheinend das Richtige gefunden zu haben.
„So“, dachte ich, „jetzt muss ich alle Register ziehen“. Ich versuchte mich ins rechte Licht zu setzen, indem ich wie von Zauberhand mir den Staub abwischte und pumpte meine Backen auf um ja die richtigen Töne zu treffen.
Mit Erfolg!
Der Mutter der Familie gefiel mein Gesang und nur mein Gesang und sie wurde meine Patin.

Zu Hause angekommen, stand ich noch eine Zeit lang im Wohnzimmer aber später bekam ich einen eigenen Raum, ein Musikzimmer. Da sah es ganz schön aus, und die kleinen Hände die auf mir lernten gehörten zu Jeanine und Marija.
Marija hatte manchmal keine Lust zu üben und ich musste mich ganz schön anstrengen damit dann doch immer alle zufrieden waren.
Bei Jeanine war das anders. Wir vermissten uns manchmal schon während die Familie im Urlaub war, aber wenn sie wieder nach Hause kamen, kam Jeanine erst zu mir, bevor sie ihren Koffer auspackte und wir spielten zusammen.
Später kamen noch andere Instrumente in das Zimmer und wir musizierten gemeinsam und manchmal gab es auch einige Zuhörer.

Jeanine hat später richtig Musik studiert und sie war in der Klavierklasse die Beste. Da war ich total stolz auf uns. Als sie mit dem Studium fertig war, ging sie weg – weit weg, bis nach Australien, ans andere Ende der Welt.
Ich war allein und vermisse sie noch heute.
Auch mein Musikzimmer gab´s nicht mehr und ich war echt frustriert.
Die pflegenden Hände meiner Patin, die mich versuchte mit ihrem Politurlappen etwas aufzuheitern halfen da auch nicht weiter, denn meine Seele braucht meinen Klang wie ihr die Luft ja auch zum Atmen braucht.

Und so kamen wir überein, dass ich wieder Hände bekommen sollte.
Eure, und viele Hände, eine neue Familie.
Erst mal kamen vier ganz, ganz starke Arme mit Händen dran, die mich hier her brachten.
Dann kamen noch zwei Hände, die mir die Tränen abwischten bzw. die Saiten in meinem Innern etwas mehr spannten, denn von der ewigen Heulerei war meine Stimme etwas belegt.
Und nun steh´ ich hier und bin wieder fast die Alte und bereit; und jetzt seit ihr dran.
Mein größter Wunsch ging in Erfüllung, ich werde wieder gebraucht. Und vielleicht kommt ja irgendwann auch noch mal Jeanine oder meine Patin mit ihrem Politurlappen, vorbei.

Ihr habt alle einen Namen. Vielleicht gebt ihr mir auch mal einen Namen, damit wir uns besser kennen und verstehen lernen.
Ich weiß nicht genau, ob ich überwiegend männlich oder überwiegend weiblich bin. Ob ich also Max, Franz, Ferdinand oder Friederike, Lucia oder Dorothy heißen könnte.
Vielleicht versucht ihr es mit einem Doppelnamen: z. B. Franz – Dorothy Zimmermann.
Ich habe auch eine neue Mutter bekommen. Eine Adoptiv-Mutter.
Sie heißt Bettina Brümann und alles zusammen macht mich glücklich.

In Liebe

Euer Klavier“

Gewidmet Frau Bettina Brümann am 2. 4./ 20. 6. 2009

Frau Brühmann trug als Erwiderung hierauf folgendes Gedicht vor:

In Sachsen
ist es gewachsen.
Jetzt steht es hier — das Klavier.
Und zeigt uns voller Stolz sein Kleid aus Nussbaumholz.
Doch hier diesem Zimmer stand das Klavier nicht immer.
Bei Firma Zimmermann fing einst sein Leben an.
Und als es groß geworden, da ging es Richtung Norden.
Entdeckt in einem Läddchen
Kam es zu kleinen Mädchen
Die spielten manchen schöne Ton
Von Beethoven und Mendelssohn.
Und als Jeanine dann größer war,
studierte sie Klavier sogar.
Das machte viel Pläsier
dem glücklichen Klavier.
Von hoher Kunst umgeben,
Führet’s ein herrlich Leben.
Aber ach — Jeanine
Blieb nicht in Berlin.
Australien war ihr Ziel,
vorbei das schöne Spiel.
Und das Klavier stand stumm
in seinem Heim herum.
Es träumten seine Saiten
von schönen alten Zeiten.
Und manchmal ging — man hört es kaum —
Ein leises Seufzen durch den Raum.
Doch dann zu einem guten Werk
Entschloss sich Mutter Ruthenberg.
Sie führte das Klavier im Nu
nun weiterer Bestimmung zu.
Nach über 30 Jahren
durfte es noch mal fahren.
Jetzt steht es hier —
das Klavier.
Nun wird es wieder klingen,
begleiten unser Singen,
das Flöten und das Geigen,
und höchsten nachts mal schweigen.
Darum zu dieser Stunde
Versammelt ist die Runde
Und ruft mit Herz und Munde:
Ein Klavier, ein Klavier!
Anita! Wir danken Dir!