26.5.: Predigt Röm. 11, 32-36 (Diakon Michael Koesling)

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.
Amen.

Predigtext: Römer 11, 32–36

Liebe Gemeinde, bekanntlich soll man ja die Feste feiern, wie sie fallen, und die erste Hälf­te unseres Kir­chen­­­jah­res ist geradezu gespickt mit Festzeiten und speziellen Ge­denk- und Feier­ta­gen: Das fängt gleich mit der Adventszeit und Weihnachten an und geht nach Epipha­ni­as in die Passionszeit über hin zu Ostern. Unlängst haben wir dann Chris­ti Himmelfahrt und letz­­­te Woche Pfingsten gefeiert. Heute also: Trinitatis.

Bei den vorgenannten Festen war die Art des Feierns, waren die Objekte vorgegeben: In den ersten Monaten ging es um Jesus Christus — von der Vorbereitung auf seine Geburt über sein Leben und Wirken, sein Leiden und sei­nen Tod bis zur Auferstehung und zur Him­­melfahrt. Das Pfingstfest schließlich erin­ner­te daran, wie der Heili­ge Geist über Men­schen un­­terschiedlicher Nationalitäten gekommen war und so die christliche Kirche ent­stand. All diese Tage sind durch Bibel­texte belegt und haben so einen echten Sitz im Le­ben der Gemeinde. Was aber feiern wir eigentlich zu Trinitatis?

Fast gilt dieser Tag als anonymer Sonntag. Ein Sonntag ohne Hintergrund in der bibli­schen Lehre. Er hat keine rechte Bedeutung in den Gemeinden. Denen wird der Name „Tri­­­ni­­ta­tis“ mehr dadurch bewusst, dass fünf Monate lang in der zweiten Hälfte unseres Kir­­chen­jahres die Sonntage — etwas phantasielos — danach aufgezählt werden. Trinitatis — das ist eher etwas für Dogmatiker und Liturgiker.

Für Dogmatiker, denn erst im 4. Jahrhundert wurde in den Konzilien — in den Ver­samm­lun­gen kirchlicher Würdenträger — die Lehre von der Trinität entfaltet, die diesem Festtag dann im Mittelalter ihren Namen geben sollte. Und erst im 14. Jahrhundert fand dieser Sonntag schließlich seinen Platz eine Woche nach Pfing­sten. Gott war als Mensch Je­sus Christus auf Erden erschienen und hat seither im Heiligen Geist nachhaltig Denken, Fühlen und Glauben der Christen beeinflusst. Dass sich Gott auf so viel-, sprich: drei­fäl­tige Weise den Menschen zeigt, dass sich diese un­terschiedlichen drei Erschei­nungs­for­men in dem einen Gott zeigen können, das gilt es zu feiern, an einem ganz bestimm­ten Sonntag. Liturgiker ergänzen: „Zusätzlich!“ Denn das Lob des dreieinen Gottes er­tönt ja mehrfach in jedem unserer Gottesdienste: In der Eingangsbegrüßung und im Se­gen und zwischendurch im Gloria Patri — dem „Ehr sei dem Vater…“ – und im Eingangs­ge­bet.

Der Trinitatis-Gottesdienst ist ein ganz spezieller Lobpreis-Gottesdienst. Um eine be­son­dere Feierlichkeit zu unterstrei­chen, ist es auch im Bereich der Politik und des Sports üblich — wir erleben das ja immer wieder –, Hymnen anzustimmen. Wenn wir nun schon in der Bi­­bel aus genannten Gründen keinen eigenen Trinitatis-Text finden, so ist es doch schön, dass zur Feier dieses Tages ein Hymnus, ein christlicher Lobgesang als Pre­digt­­­text vorgeschlagen ist.

Zur Einstimmung auf diesen Abschnitt wird der Schlusssatz des vorher­ge­hen­den Textes hinzugenommen. In diesem Satz versucht Paulus, seine unterschiedliche Zuhörerschaft zu integrieren. Er lehnt die ausgestreckten Zeigefinger der Juden auf die ehemaligen Heiden, jetzt Chris­ten ebenso ab wie in der umgekehrten Richtung. Er sagt: Ihr — jetzt Chri­sten — wart als ehemalige Heiden noch dem Ungehorsam verfallen, als sie — die Ju­den — schon das von Gott geliebte und erwählte Volk waren. Jetzt habt ihr den besseren Teil gefunden, während sie noch im Stadium des Ungehorsams leben. Mathematisch aus­gedrückt könn­te das heißen: Das Minus-Vorzeichen des Ungehorsams tragt ihr bei­de, das kann durch kein Plus-Zeichen aufgehoben werden. Gott hat euch alle in den Un­­­ge­­­hor­sam ein­geschlossen. Aufgehoben wird das nur — und dann aber auch wieder für al­le –, weil sich Gott aller erbarmt.

Jetzt endlich hören wir die Lyrik dieses Hymnus: O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege! Was den Hörer im ersten Moment einlädt, einzufallen in den Jubelchor, diese Ausrufe aus voller Kehle mit herauszuschreien, lässt uns bei inten­si­verer Beschäftigung wieder verstummen, lässt uns klein-laut werden. Was an Wor­ten so gewaltig, so mächtig die Größe Gottes betont, lässt aber auch so etwas wie Uner­reichbarkeit aufkommen. Diese Einsicht ist gut, wenn wir tagtäglich erleben, wie wir Menschen doch versuchen, immer gottähnlicher zu werden. Vokabeln wie „Tiefe“, „uner­gründlich“ und „unerforschlich“ verbinde ich in ihrer Zusammenfassung immer mit dem Meer. Auch Menschen, die sich mit größerer Leidenschaft in die Wellen stürzen, als ich das je getan habe und je tun werde, die werden nachdenklich, ja, vielleicht sogar ängstlicher, je mehr sie sich von siche­ren Ufern entfernen, je weniger andere Menschen sich dann um sie herum auf­hal­ten. Die Tiefe des Meeres — die größte, uns bekannte Tie­fe beträgt über 11 Kilometer, und schon ei­­ne Durchschnittstiefe des Meeres ist mit im­merhin knapp 3, 8 Kilometer aus­­­­ge­­rech­net wor­­­den. Kein Problem, sich das als Entfer­nung auf der Autobahn vor­zu­stel­len! Aber als Tie­fe im Meer? Und so sind für uns Gottes Reichtum, seine Weisheit und seine Er­kennt­nis un-er­­mess-lich, seine Entscheidungen un-er-gründlich, seine Wege uner­forsch­­lich!

Paulus möchte sich mit seinem Brief persönlich bei den Römern bekannt machen. Er will dabei auch gar nicht erst den Eindruck aufkommen lassen, als ob die neue Religion eher etwas für ungebildete Hinterwäldler sei und nicht für die Weltbürger Roms. Und so fährt er in den nächsten beiden Versen fort, indem er mit Zitaten aus den Büchern der Pro­phe­­ten Israels das bisher Gesagte untermauert. Wer hat denn die Gedanken Gottes er­­­­­kannt? Wer ist denn sein Ratgeber gewesen? Hat ihm womöglich jemand etwas ge­­geben, so dass es ihm Gott zurückgeben müsste? Diese Fragen erscheinen uns rhe­­torisch: Die Antwort steht doch fest! Und doch denke ich, Paulus will, dass wir sie laut und deutlich aus uns herausschreien, damit wir weiterhin, damit wir erneut dieser Ver­su­chung widerstehen, selbst so sein zu wollen wie Gott. Niemand — so muss die Antwort lauten — niemand. Niemand ist das, niemand hat das, niemand kann Gott — das Wasser reichen…

Zu guter Letzt in unserem Text gibt Paulus dem Bildungsbürgertum Roms noch eine Kost­­probe dessen, was er einst selbst an griechischer Bildung genossen hat. Über Gott schreibt er: Aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ähnlich hat man schon lange vorher in der Philosophenschule der Stoa geredet. Die Natur selbst ist so angesprochen worden. Paulus geht darüber hinaus: Die Natur, die ganze Schöp­fung ist erst vom Schöpfer, von Gott her denkbar, vorstellbar, erschaffen.

Eben sagte ich noch, die Einsicht der Unerreichbarkeit Gottes sei gut. Aber ist das nicht nur die eine Seite der Medaille? Und wer hat schon diese Einsicht? Wir brauchen doch Gott, hier bei uns, in dichter Nähe. Indes müssen wir einsehen, dass wir seinem Reichtum weder durch die Leistungen unse­rer Worte noch unserer Werke nahe kommen. Ge­ra­de jetzt sehen wir das im politischen Alltag. Aber auch im Alltag der Kirchen. Und auch das, was in einzelnen Gemeinden entschieden wird, kann nicht immer als der gött­li­chen Weisheit letzter Schluss angesehen werden. Wir müs­sen erkennen, dass wir seine Weis­­heit und seine Er­kenntnis auch nicht durch unsere genialsten Gedanken erreichen. Und dabei sind unsere Gedanken selten die genialsten! Gott in unserer Nähe, wir bei ihm — möglich wird das nur durch unseren Glauben und durch unsere Gebete. Möglich wird das, wenn wir eingedenk der Liebe Gottes wie auch unserer Nächstenliebe han­deln, so, wie wir es von Jesus Christus gelernt haben könnten. Möglich wird das, wenn wir vom Heiligen Geist so erfüllt sind, dass wir nicht nur unserem Nächsten ver­trau­en, der uns nach dem Munde redet, sondern auch dem Übernächsten, der uns Dinge sagt wie keiner vorher. Möglich wird das, wenn wir wie Paulus laut loben: Ihm — Gott — sei Ehre in Ewigkeit!
Amen.

Diakon Michael Koesling