Predigt am 4. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Gemeinde,

schon in früher Kindheit erfahren wir, was zu tun und was zu lassen ist. „Gegessen wird, was auf den Tisch kommt!“ – „Wie sieht denn dein Zimmer wieder aus? Wenn ich das nächste Mal reinkomme, ist aber alles aufgeräumt!“ – „Dir fallen ja schon die Augen zu: jetzt aber ab ins Bett!“ Apropos Tisch – später heißt es dann: „Solange du deine Füße un­ter meinen Tisch stellst, wird getan, was ich sage!“ Alles – auch ohne Befehlsform – deut­li­che For­derungen! Und wenn es ganz schlimm kommt, dann wird es uns als Redensart ser­­­viert: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu!“ Und selbst, wer sich vornimmt, solche und ähnliche Sätze später nicht in sein Er­zie­­hungs­re­per­toire aufzunehmen, ist in einzelnen Fällen nicht davor gefeit.

In der Weise erzogen fällt es uns dann auch als Erwachsenen nicht leicht, gelegentlich den For­de­run­gen unserer Umgebung eigene Vorstellungen entgegenzusetzen. So gese­hen ha­ben wir hauptsächlich zwei Reaktionen entwickelt, mit moralisch-ethischen For­de­run­gen um­zugehen. Entweder sind wir damit nicht ein­ver­stan­den – auch nicht immer mit al­lem aus der Bibel – und leh­nen uns auf. Oder aber wir stellen erstaunt fest, dass wir das doch alles längst verinnerlicht haben: Wir sind getauft, haben am Religionsunterricht teil­ge­nommen, sind konfirmiert. Wir gehen sonntags in die Kirche und kennen nicht nur die Zehn Gebote – ist ja selbstverständlich – , sondern sind doch auch mit weiteren An­sprü­chen vertraut, wie sie in der Bibel an uns Christen gerichtet sind.

Natürlich reagieren wir mit Entsetzen, wenn wir in den Medien von Verbrechen an Ei­gen­tum und Leben erfahren; wenn Menschen nicht einmal in der eigenen Familie vor Gewalt zu­­rück­schrecken; wenn vor allem Kinder und alte Menschen betroffen sind, die sich am we­­­nigs­ten wehren können. Ganz abgesehen von unserer Empörung, dass auf der Welt immer noch zu vie­le Auseinanderset­zun­gen zwischen den Völkern mit Waffengewalt aus­ge­­­tra­gen wer­den. Was aber sollen uns dann noch Verse wie in unserem heutigen Pre­digt­text aus dem 12. Kapi­tel des Römerbriefes sagen? Wissen wir das nicht schon längst? Doch hören wir uns erst einmal an, was in den Versen 17 bis 21 steht:

17 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem! Seid allen Menschen gegenüber auf Gu­­tes bedacht! 18 Soweit es euch möglich ist, haltet mit allen Menschen Frie­den! 19 Rächt euch nicht selber, liebe Brüder, sondern lasst Raum für den Zorn Gottes; denn in der Bibel steht: Mein ist die Rache, ich werde vergelten, spricht der Herr. 20 Vielmehr: Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen, wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken; tust du das, dann sammelst du glühen­de Kohlen auf sein Haupt. 21 Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern be­siege das Böse durch das Gute!

Der Teufel steckt im Detail, unser Teufel, unser ur-eigenes Böses: Natürlich stechen wir nicht mit Messern auf andere ein, natürlich laufen wir nicht mit Gewehren Amok, natürlich schießen wir nicht mit Kanonen – halt: Trifft es nicht gelegentlich doch auch auf uns zu, dass wir mit Ka­nonen auf Spatzen schießen, heißt: dass wir schon bei kleinsten ne­ga­ti­ven Anlässen mit großem Aufwand reagieren, uns ab-reagieren? Klar, zu den meisten un­se­rer Mitmen­schen sind wir – meistens… – freundlich. Vor allem, wenn sie so denken, wie wir denken, so reden, wie wir reden, so handeln, wie wir handeln, so glauben, wie wir glau­ben… Aber ständig halten wir das ja nicht einmal bei un­seren Liebsten durch – un­se­rer Fa­­mi­­lie, unseren Freunden –, ge­schwei­­ge denn bei ir­gendwelchen Menschen unserer Um­ge­bung. Und wenn da uns wo­mög­lich einer ir­gend­wann dumm kommt, uns eins aus­­wi­schen will, sich hässlich ver­hält, unse­re Seele zum Kochen bringt – viele sagen in solchen Fäl­len: Dann gibt’s Krieg!, und selbst unsereins als wackerer Chris­ten­mensch muss sich schon sehr zurückhalten, um nicht in das alttestamentliche Ver­hal­tens­muster zu verfallen: Au­ge um Auge, Zahn um Zahn. Obwohl wir doch wissen, dass es auch schon zu jenen Zei­ten andere Regeln des Miteinander gegeben hat, geschweige denn später Anweisun­gen durch Jesus Christus persönlich, wie wir aus der Bergpredigt wissen.

Ja, das wichtigste Detail, das schwierigste in den Versen 17 und 18 scheint diese Rigoro­si­tät zu sein, diese Entschiedenheit, diese Ausnahmslosigkeit, die uns Paulus entgegenhält: Ver­geltet niemandem Böses mit Bösem! Seid allen Menschen gegenüber auf Gutes be­dacht! Haltet mit allen Menschen Frieden! Mit den meisten tun wir’s ja, aber mit allen? Und dann fallen uns Begebenheiten ein, da sträuben sich uns die Haare, und oft sind wir nicht ein­mal die Betroffenen: Da werden nachts auf einer Straße viele Autos angezündet – Frie­den hal­­ten mit den Tätern? Eine Mutter muss sterben, weil einer einen Holzklotz von einer Brüc­­ke auf ein Auto wirft – Frieden halten? Dass es Grenzfälle des Lebens geben kann, die es einem Menschen seelisch schier unmöglich machen, tatsächlich mit jedem anderen Frie­den zu halten, leuchtet dann aber auch Paulus ein – darum: soweit es euch möglich ist!

Na, und was dann? Wenn mir nun großes Leid angetan wird – und nur dafür lässt Paulus ei­ne Einschränkung gelten, nicht wegen einer Lappalie – : Lege ich mir dann ein Waffen­la­ger an? Stürme ich Wohnungen und zünde sie an? Paulus sagt: Das ist nicht mehr eure Sa­che! Bei allem Verdruss: Überlasst das dann Gottes Zorn, rächt euch nicht selber! Ihr wisst doch aus der Bibel: „Mein ist die Rache, ich werde vergelten“, spricht der Herr. Wenn das doch bloß nicht immer so lange dauern würde… Vielleicht wäre ich oft weniger ungeduldig und würde mich nicht für alles erlittene Unrecht revanchieren wollen, wenn Gott schneller vergelten würde. Wir Menschen können uns irgendwie nicht richtig daran ge­wöhnen, dass der ewige Gott in anderen zeitlichen Ausmaßen waltet, als wir es wahr­ha­ben wollen. Wer heute nach erlittenem Unrecht meint, das Recht selbst in die Hand neh­men zu können, findet sich schnell ebenfalls als Angeklagter vor Gericht wieder, entgeht einer Strafe nicht. Und das gilt sogar für den Bereich des Sports, wie im jüngsten EM-Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft auch Schweinsteiger nach einem Revanche­foul erfahren musste.

Na gut: Nun weiß ich, was ich nicht tun soll; aber wie soll ich reagieren? Bei allem Leid: Soll ich dem Übeltäter, soll ich meinem Feind denn um den Hals fallen? Verblüffende Ant­wort: im Prinzip JA! Wissen wir doch auch aus der Bergpredigt von Jesus, dass wir unsere Feinde lieben sollen, denn die Freunde zu lieben – nicht wahr? – , das ist doch keine be­sondere Sache. Statt dass Feindschaft endlos eskaliert, wie wir es von kriminellen Vereini­gungen kennen – von Mafia, Cosa Nostra und Camorra – , verblüfft, ja, beschämt es den an­deren doch, wenn ich ihm zu essen und zu trinken gebe. „Eine solche Wohltat vom Feind ist so unerträglich wie glühende Kohlen auf dem Kopf“, erinnert Paulus an einen alt­ägyp­tischen Ritus. Und weil so etwas unerwartet und selten geschieht, bleibt es auch unver­ges­sen.

Überhaupt sollten wir einmal versuchen, uns in die Lage der ersten Christen im alten Rom hineinzuversetzen. Sie hatten alle möglichen Menschen als Gegner, Heiden wie Juden, sowohl Einheimische als auch Fremde. Wenn diese Christen alle Feindseligkeiten mit glei­cher Münze heimgezahlt hätten, hätten sie erstens sich selbst unerhört geschadet, weil sie noch mehr verfolgt worden wären. Zweitens aber hätten sie ihrer Sache, ihrem Glauben, Jesus Christus einen Bärendienst erwiesen, weil aller Welt offenkundig geworden wäre, dass an dieser neuen Religion auch nichts Besonderes dran ist. Was also tun? Ganz abgesehen davon, dass es irgendwann bequem, langweilig und vielleicht sogar gefährlich ist, stets nur mit denen zu­sam­menzuhocken, die sowieso immer nur die gleiche, nämlich die gemeinsame Mei­nung der Gruppe vertreten: Am besten setze ich mich häufiger mit mei­nen Geg­nern zusammen, wenn ich mich mit ihnen auseinandersetzen muss.

Das gilt auch heute noch, und sogar für unsere Gemeinden. Herr, „gib, dass ich meinen Feind mit Sanftmut überwind und, wenn ich Rat bedarf, auch guten Rat erfind. Lass mich mit jedermann in Fried und Freundschaft leben, soweit es christlich ist.“ So singen wir vom zweiten der beiden vorgeschlagenen Wochenlieder. Amen.

Diakon Michael Koesling

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